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Digitales Lesen

Das digitale Lesen steht als großes, gesellschaftlich relevantes, pädagogisch-didaktisches, sprachwissenschaftliches Thema im Raum. Deshalb soll sich im Folgenden die Frage gestellt werden, wie am besten mit digitalen Texten in der Schule umgegangen werden kann.

Zwei Antworten aus der Wissenschaft auf die Frage „Was ist digitales Lesen?":

Dr. Johannes Wild, Akademischer Rat am Lehrstuhl für Didaktik der deutschen Sprache und Literatur der UR, im Kurzinterview zum digitalen Lesen.
(Das Interview führte Matthias Ott, AK #lesen.bayern, im Herbst 2019.)

Prof. Dr. Jan M. Boelmann, Professor für deutsche Literatur und ihre Didaktik an der PH Freiburg, über die Veränderung des Blicks auf die Fragen „Was wird gelesen?” und „Wie wird gelesen?” durch die sogenannte „digitale Wende”.

Stavanger Erklärung

Mit der Stavanger Erklärung, die mehr als 130 europäische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlicher der Forschungsinitiative E-READ (Evolution of Reading in the Age of Digitisation) im Oktober 2018 unterzeichneten, ist (erneut) der Diskurs angestoßen, was das digitale vom analogen Lesen unterscheidet und welches Lesen welche Vorteile bietet.

Folgende Befunde werden in der Erklärung genannt:

  • Digitale Texte und Leseumgebungen eröffnen gute Möglichkeiten, die Texte in ihrer Form an individuelle Bedürfnisse und Vorlieben der Lesenden anzupassen. Gerade für die Individualisierung und explizit das Eingehen auf Schülerinnen und Schüler mit individuellen Lese- und Lernschwierigkeiten (beispielsweise auch motorische Beeinträchtigungen) ist dies eine Chance.
  • Beim Lesen digitaler Texte wird der Lesemodus des Scannens bevorzugt, sodass die Begegnung mit dem Text damit schnell weniger konzentriert erfolgt.
  • Das Verständnis langer informativer Texte ist beim Lesen in analoger Form besser als bei digitalen Texten. Diese Unterschiede gibt es bei narrativen Texten nicht.
  • Individuelle Lernprofile, Erfahrungen, Unterschiede in Fähigkeiten und Veranlagung beeinflussen das Verstehen und Verarbeiten von (digital) Gedrucktem. 

Aus diesen Befunden leiten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler folgende Empfehlungen ab:

  •  Die Bedingungen, die das Lesen und Verstehen analoger und digitaler Texte unterstützen oder behindern, sollten systematisch erforscht werden.
  • Strategien für tieferes Lesen digitaler Texte müssen an Schülerinnen und Schüler vermittelt werden.
  • Weiterhin sollen Kinder und Jugendliche zum Lesen gedruckter Bücher motiviert und dafür Zeit in den Schulen vorgesehen werden.
  • Insbesondere im Primarbereich sollten digitale Technologien pädagogisch verantwortungsvoll eingesetzt und durch sorgsam entwickelte Lerntools und -technologien begleitet sein.
  • Es bedarf besonderer Leitlinien für die Einführung digitaler Technologien und beispielsweise eines empirisch validierten Unterrichts in digitalen Lesefertigkeiten.

Außerdem werden Fragen für die künftige Forschung gestellt:

  • Wo liegen die Vorteile digitaler Texte (in welchen Lesekontexten und für welche Lesergruppen)?
  • Wann sind hingegen Texte in analoger Form zu bevorzugen?
  • Wird das „Scannen“ von Texten, mit geringerer Konzentration und weniger tiefer Verarbeitung, zum Standardmodus des Lesens und hat damit auch Auswirkungen auf das Lesen von Gedrucktem?
  • Wie kann die tiefe Verarbeitung von Texten, insbesondere von digitalen, gefördert werden?

Zwar beantwortet die Stavanger Erklärung selbstredend nicht alle Fragen im Hinblick auf das digitale Lesen, dennoch ist sie von großer Bedeutung insofern, als sie

  • zeigt, dass sich zahlreiche Forschende (interdisziplinär!) mit der Thematik befassen,
  • zentrale Fragen für die zukünftige Forschung formuliert,
  • deutlich macht, dass weder das digitale noch das herkömmliche Lesen „besser” ist, es aber abzuwägen gilt, wann welches Format welche Vor- und ggf. Nachteile bietet,
  • formuliert, dass Schule sich weiterhin dem Aufbau der basaler Lesefähigkeiten gedruckter Texte widmen, ebenso aber die Entwicklung digitaler Lesefähigkeiten begleiten muss.

Ganz zentrales, aus der Erklärung resultierendes Handlungsfeld für die Schule ist die Fort- und Weiterbildung der Lehrkräfte im Abwägen zwischen herkömmlichem und digitalem Lesen, der pädagogischen Begleitung des digitalen Lesens mit der Vermittlung entsprechender Stategien/der Nutzung von Lese-Tools und der metakognitiven Selbstkontrolle ­– nahe an den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen orientiert. 

Die deutsche Übersetzung der Stavanger Erklärung, wie sie am 22. Januar 2019 in der FAZ veröffentlicht wurde, können Sie hier nachlesen.


Tipps zum Umgang mit digitalen Texten in der Schule

Auch wenn das analoge und das digitale Lesen viele Gemeinsamkeiten aufweisen und auch die Leseleistungen von Schülerinnen und Schüler bei digitalen Texten mit denen von analogen Texten korrelieren, so weist das digitale Lesen doch Besonderheiten auf.

Kennzeichnend für das digitale Lesen sind:

  • Aufhebung der linearen Leserichtung durch Hypertextstrukturen
  • der Umgang mit multiplen digitalen Dokumenten
  • das Bewerten und Reflektieren von Texten

(Hahnel, Goldhammer, Naumann & Kröhne (2016) und Philipp (2020b) (nach Glondys, Wild (2020))

Sogenannte „fluide Layouts“ erweisen sich bei digitalen Texten als günstig, d.h. dass die Bildschirmelemente relativ zur Bildschirmauflösung skaliert und positioniert werden. Eine Entlastung beim Dekodieren können Lehrkräfte, wenn sie digitale Texte bereitstellen, außerdem schaffen durch:

  • ausreichend große Schriftgröße
  • (linksbündigen) Flattersatz
  • ausreichenden Buchstaben- sowie Zeilenabstand
  • eine Zeilenlänge mit nicht mehr als acht Wörter, um (horizontales) Scrollen zu vermeiden
  • Kennzeichnung von Absätzen durch eine Leerzeile oder Einrückungen

Sich nicht in der unerschöpflichen Menge digitaler Texte im Internet zu verlieren und überhaupt relevante Informationen zu finden, ist wohl eine der größten Herausforderungen für die Lernenden. Wichtig und hilfreich für die Leserinnen und Leser ist deshalb ein klares Lese-/Rechercheziel, das Schülerinnen und Schülern durch eine problemorientierte Aufgabenstellung entwickeln können und diese immer vor Augen haben sollten. Passende Schlagwörter und Schlüsselbegriffe auf dieses Leseziel abzustimmen, ist eine weitere anspruchsvolle Aufgabe. Hierbei helfen kann z. B. eine vorab erstellte Mindmap (vgl. Methodenkarte #Lesen digitaler Texte). Und schließlich stellt nicht zuletzt die Einordnung und Bewertung der Links im Hinblick auf ihre Seriosität eine Hürde dar.

Tipps:

  1. Für den Lernprozess ist es deshalb hilfreich, die Fülle an Links und Klickmöglichkeiten zu reduzieren und beispielsweise mit Kindersuchmaschinen zu arbeiten, die bereits eine Vorauswahl an Websites treffen, oder eine digitale Lernumgebung gezielt vorzubereiten (vgl. dazu z. B. WebQuest).
  2. Um Schülerinnen und Schüler dann an die Beurteilung der Vertrauenswürdigkeit von Texten heranzuführen, ist es sinnvoll, nicht nur qualitativ gute, von der Lehrkraft vorausgewählte Texte in den Unterricht einzubeziehen, sondern Kinder und Jugendliche bewusst auch mit Informationen unterschiedlicher Seriosität und Güte zu konfrontieren.
  3. Das praktische Wissen um Steuerungsfunktionen des Browsers und z. B. die Möglichkeit, vor- und zurückzuspringen, unterstützt Schülerinnen und Schüler beim Navigieren und spart kognitive Ressourcen, die dann für Leseprozesse zur Verfügung stehen.
  4. Da Schülerinnen und Schüler dazu tendieren, ihre Lesefähigkeiten im Digitalen zu überschätzen, ist es wichtig, ihnen kontinuierlich Feedback zu geben und Strategien zu vermitteln. Das Modellieren von Strategien mit der Methode des Lauten Denkens durch die Lehrkraft, ist auch hier sehr empfehlenswert.

Digitale Texte sind multimodal, hypertextuell und damit per Definitionem i. d. R. recht komplex. Umso wichtiger werden metakognitive Kontrollstrategien, die es Schülerinnen und Schülern erlauben, ihr Leseziel im Blick zu behalten, gezielt Links auszuwählen, denen sie folgen, und Ablenkungen bewusst zu vermeiden. Skimming- und Scanning-Strategien, um zu entscheiden, ob und wie relevant und vertrauenswürdig ein Suchmaschinentreffer ist, sind deshalb essentiell wichtig.

Anschließend muss aber auch in den Modus des deep readings gewechselt werden, wenn es um das Erschließen eines konkreten Textes und dessen (komplexer) Inhalte und Zusammenhänge geht – hier bedarf es dann einer bewussten Verlangsamung des Leseprozesses: Im Text zurückzugehen oder zu entscheiden, Passagen mehrfach zu lesen – all das erfordert permanente Metakognition. „Klassische Lesestrategien“ wie das Markieren von Schlüsselwörtern im Text und das Erstellen von Notizen als elaborierende Strategie sind auch digital möglich und sinnvoll.

Hilfreich dabei ist für Texte, die als digitales Dokument vorliegen, die Methodenkarte digitales analytisches Lesen von #lesen.bayern.

(vgl. auch Methodenkarte)

Lesen bedeutet, Wissen zu erwerben, Vorstellungen aufzubauen, Wirklichkeit zu konstruieren, sich eine Meinung zu bilden, die Aussagen, Inhalte und Absichten eines Textes kritisch zu hinterfragen und zu reflektieren. Insbesondere im digitalen Zeitalter gilt es, relevante und verlässliche Informationen von Fake News zu unterscheiden. Leseförderung und -erziehung gehen einher mit der Aufgabe, bei den Schülerinnen und Schülern ein Bewusstsein für die Notwendigkeit der kritischen Auseinandersetzung und des Urteilens zu schaffen. Dies gilt für die Nachrichten in digitalen Medien ganz besonders. Damit wird im Sinne der schulart- und fächerübergreifenden Bildungs- und Erziehungsziele, insbesondere der Politischen Bildung und der Medienbildung, ein Baustein zur Grundlage für die gesellschaftliche Teilhabe als mündige Bürgerinnen und Bürger gelegt.

Das digitale Lesen bietet aber auch vielfältige Wege für einen für das Verstehen von Texten wichtigen kreativ-produktiven Umgang. So kann das social reading eine authentische Möglichkeit für Kinder und Jugendliche sein, den Lesevorgang über das Rezipieren hinaus zu erweitern – durch Formen der Interaktion und Anschlusskommunikation über das Gelesene im öffentlichen Bereich, z. B. in Form von Blogeinträgen, Wikis, Apps oder durch Kommunikation in sozialen Netzwerken wie Facebook, Instagram und Twitter. Am Lernort Schule ist dies, die dort geltenden Datenschutzrichtlinien beherzigend, beispielsweise im geschützten Raum einer Lernplattform wie mebis mit Aktivitäten in einem Forum, Wiki oder Chat möglich.

  • Feierabend, S. (2013). Unstandardisiertes Lesen in der digitalen Welt nimmt zu. In J. F. Maas, S. C. Ehmig (Hrsg.) (2013). Zukunft des Lesens. Was bedeuten Generationswechsel, demografischer und technischer Wandel für das Lesen und den Lesebegriff? Mainz: Stiftung Lesen. S. 20 – 28.
  • Riethmüller, Heinrich: Lesekultur im Wandel (Essay), S. 34 – 35
  • van der Broeck, Paul et al.: Der Kontakt zu unserer Kultur steht aus dem Spiel. Acht Leseforscher  aus verschiedenen Disziplinen antworten auf Fragen zum Einfluss der Digitalisierung, S. 36 – 40
  • Wampfler, Philippe (2019): Das Netz lesen – eine Anleitung für nicht-lineare Lektüre. In: Krommer, A. u. a. (2019): Routenplaner #digitale Bildung. Auf dem Weg zu zeitgemäßer Bildung. Eine Orientierungshilfe im digitalen Wandel, S. 29 – 38.
  • Philipp, Maik: Analoges versus digitales Lesen – 1:0? In: Arbeitskreis für Jugendliteratur (2020):  #read! Lesen im digitalen Wandel – Chancen, Herausforderungen und Konsequenzen, JuLit 1/20, S. 3–10.

Praktische Hinweise und Links

In ihrer Lebenswelt begegnen Heranwachsende ständig pragmatischen Texten in digitalen Medien. Ideen, wie diese Texte gewinnbringend Eingang in den Unterricht finden können, zeigen die Methodenkarten zum digitalen Lesen.

Das Lesen literarischer Texte in digitalen Medien liefert des Weiteren viele weitere neue Möglichkeiten. Dazu zählen der leichte Zugriff auf Leseproben, das Vorstellen interessanter Lesenangebote, aber auch das Nutzen der Onleihe-Angebote vieler Bibliotheken. Ideen liefern folgende Methodenkarten:

Bei #lesen.bayern erhalten Sie viele FiLBY-2-Texte als E-Book (mit Hördateien).

Die Stiftung Lesen empfiehlt von einem Gremium geprüfte Apps und digitale Angebote zum „Lesen mit App”.

Lese- u. Sprachförderung bietet auch die App eKidz, z. B. für das Training der Leseflüssigkeit, auch für DaZ-Kinder oder Willkommensgruppen.

Kompetenter Umgang mit Medien und digitalen Texten: Tipps gibt's von klicksafe.

Eine tolle Sammlung digitaler Tools und Links in drei Teilen, bereitgestellt von Melissa Schneider, Akademiereferentin der ALP für Deutsch (GY, RS, Berufl. Schulen):

Diese ALP-fre!stunde beschäftigt sich mit dem weiten und spannenden Feld, in der sich literarische Bildung im digitalen Zeitalter bewegt. 


Quellen: Feierabend, 2013, S. 20–28; Wild, Glondys, 2020, S. 641–650; Philipp, 2018, S. 127.

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