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Jan Faktor: Trottel

Besprechung

Jan Faktors Roman „Trottel“ ist für den Buchpreis 2022 nominiert gewesen und hätte ihn ganz gewiss verdient. Den 2010 erschienen Roman „Georgs Sorgen um die Vergangenheit oder im Reich des heiligen Hodensack-Bimbams von Prag“ könnte man als Vorgeschichte auffassen, denn in ihm werden die Kindheit und die Jugend eines Ich-Erzählers in Prag genauso sprachakrobatisch und hinreißend geschildert wie das Leben des Erwachsenen in „Trottel“, wobei der Erzähler selbst in Fußnoten auf den 2010 veröffentlichten Roman verweist, dabei aber jedes Mal den Titel verballhornt.

Der Inhalt von „Trottel“ lässt sich knapp folgendermaßen zusammenfassen: Ein junger Mann, der die sowjetische Okkupation seiner Heimatstadt Prag erlebt, übersiedelt nach einem abgebrochenen EDV-Studium und verschiedenen Hilfsarbeitertätigkeiten nach Ost-Berlin zu seiner großen Liebe, die er heiratet und mit der er einen Sohn bekommt. Gemeinsam bewegen sie sich in der Künstlerszene am Prenzlauer Berg und der Erzähler schlägt sich als Kindergärtner und Schlosser durch; während der Wende arbeitet er dann als Redakteur für das Neue Forum und anschließend als Schriftsteller.

Die politischen und gesellschaftlichen Zustände sowohl in Prag als auch in der DDR werden ironisch und voller Sarkasmus beschrieben; so veranschaulicht der Ich-Erzähler das Leben in Prag wie folgt: „Mein großer Himmelslilli! Mir wird wieder schlecht! Mein Leben war vorgeplant – vorgeplant schäbig; mein Leben sollte offenbar so und nicht anders werden. Und ich war nicht nur grundschäbig und angeschabt, ich war schon damals im Grunde so gut wie verhackepetert.“ Zu dem kuriosen Wort „Himmelslilli“ findet sich eine der zahlreichen Fußnoten: „Die Arbeiten an einer hinreichenden Erklärung für diese Art Anrufung dauern noch an.“

Daneben gibt es Passagen, in denen sowohl fulminante Sprachspiele als auch sarkastische Seitenhiebe auf Politik und Gesellschaft fehlen; in ihnen schildert der Erzähler den Suizid seines „engelhaften Sohnes“, der mit 33 Jahren aus dem Leben scheidet – so wie Jan Faktors eigener Sohn. In diesen Abschnitten wird erschütternd und anrührend die Krankheit des jungen Mannes – Schizophrenie – beschrieben und die abgrundtiefe Hilflosigkeit seiner Eltern. Dies zeigt die Szene besonders eindrucksvoll, in der die Mutter ihren Sohn in einem der verwinkelten Häuser an der Karl-Marx-Allee in Berlin vor Angst und aus Panik schreien hört, ihn aber lange Zeit nicht findet. Die Unfähigkeit der Eltern dieser Krankheit zum Tode beizukommen bildet die tieftraurige Grundierung des Romans.

Didaktische Hinweise

Den Roman in der Oberstufe zu lesen ist aus mehreren Gründen sinnvoll. Zuallererst ist es schlichtweg ein großer Spaß, denn Jan Faktors Neologismen, seine seiltänzerischen Satzkonstruktionen und seine Ironie sind atemberaubend. Allein schon die schelmischen Anreden des Lesers machen gute Laune: „Liebe Studentissinnen und Stundentate, liebe Obmnibustanten und Barkaspaten, liebe Seegurken und Untergürtelspäher, was mach ich mit euch – in so angefüttertem Zustand?“

Darüber hinaus spiegelt der Roman die jüngere Geschichte von der Okkupation Prags bis zur Gegenwart wider und beschreibt zwar höchst ironisch und heiter die Gesellschaft in der DDR, aber die politische Unterdrückung, Mangelwirtschaft und Bespitzelung werden dennoch ungeschönt und realistisch dargestellt. Dabei werden für die DDR typische Organisationen und Abkürzungen wie „HO“ verwendet, und an diesen Stellen ist in den Fußnoten zu lesen: „Es tut mir leid, ich sage es nochmal: Ich fühle mich nicht für alle banalen Erklärungen zuständig.“ Diese müssen dann von der Lehrkraft geliefert werden und man sollte in diesem Zusammenhang fächerübergreifend mit den Geschichts- und Sozialkundekollegen kooperieren und den historischen und politischen Hintergrund mit den Schülerinnern und Schülern erarbeiten.

Jan Faktor hat in den vergangenen Monaten mehrere Interviews gegeben, denen man sowohl die wichtigsten Fakten zu seiner Biographie als auch zum geschichtlichen Hintergrund seiner Romane entnehmen kann, so zum Beispiel seinem Gespräch mit der Berliner Zeitung. Auch die Rezension auf der Website des NDR bietet nützliche Informationen.

 

Gattung

  • Romane

Eignung

als Klassenlektüre geeignet und zum Vorlesen

Altersempfehlung

Jgst. 10 bis 13

Fächer

  • Ethik/Religionslehre (Evang. Religionslehre
  • Geschichte
  • Sozialkunde/Politik und Gesellschaft

FÜZ

  • Kulturelle Bildung
  • Politische Bildung
  • Soziales Lernen
  • Sprachliche Bildung
  • Werteerziehung

Erscheinungsjahr

2022

ISBN

9783462000856

Umfang

400 Seiten

Medien

  • Buch
  • E-Book
  • Hörbuch