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Teresa Reichl: Muss ich das gelesen haben?

Besprechung

Was in unseren Bücherregalen und auf Literaturlisten steht - und wie wir das jetzt ändern

Die aus den sozialen Medien bekannte und im November 2023 mit dem bayerischen Kabarettpreis (Senkrechtstarter-Preis) ausgezeichnete Teresa Reichl weist in ihrem Buch ausführlich auf strukturelle Diskriminierungen hin und verfolgt eine klare These: Weiße Männer haben ihrer Meinung nach queere Menschen, Frauen, LGTBQ+ und andere Schriftstellenden daran gehindert bzw. davon abgehalten zu schreiben, zu veröffentlichen bzw. gelesen zu werden. Dafür möchte Sie mit ihrem Buch nicht nur sensibilisieren, sondern diesen Zustand auch konkret ändern. Mit einer neuen Literaturauswahl, die neue Perspektiven berücksichtigt, würde das Lesen für Jüngere auch wieder „cooler" werden, so Reichl.

In einem ersten Teil erläutert sie, warum Lesen sinnvoll ist, warum es sich lohnt, Texte zu analysieren und zu interpretieren und was sie unter literarischer Kompetenz versteht. Danach setzt Reichl auseinander, was man unter „Klassikern" versteht, und führt in die Kanon-Diskussion ein. Interessant ist ihr Studium der Lehrpläne aller deutschen Bundesländer und Österreichs, auch wenn die Aussagen nach Drucklegung des Buchs bereits nicht mehr aktuell sind. Dabei stellt sie fest, dass per Lehrplan in den allermeisten (Bundes-) Ländern kein fester Kanon an Literatur vorgeschrieben ist und die Lehrkräfte in ihrer Wahl frei sind. Die berechtigte Schlussfolgerung lautet: Warum werde dann gefühlt immer dasselbe gelesen? Reichl warnt davor, dass dadurch leicht Stereotypen und Klischees entstehen können, wenn eine kleine Gruppe an zumeist männlichen, weißen Autoren aus der oberen Gesellschaftsschicht („weißes, eurozentristisches Patriarchat und white supremacy") über andere schreiben. Sie beklagt, dass Diversität und marginalisierte Sichtweisen dabei auf der Strecke blieben. Dabei möchte sie, wie sie betont, den inoffiziellen Literaturkanon, den es an den Schulen doch gibt, nicht verpönen, sondern um alternative Werke ergänzen.

Ihre Zielgruppe ist dabei die Generation Z. bzw. Alpha, was sich auch sprachlich bemerkbar macht. Die Influencerin schreibt, wie sie (mündlich) auch in den sozialen Medien auftritt: „Wie zum Fick ist unser Schulkanon eigentlich hierhergekommen?" (S. 55). Damit läuft sie Gefahr, dass ihr Buch sprachlich schnell veraltet. Wendungen wie „safe gelogen" oder „fancyschmancy" sorgt zumindest 2023 dafür, dass sich besonders jugendliche Leserinnen und Leser womöglich auf ihrer Sprachebene abgeholt und angesprochen fühlen könnten.

Ein Einwurf, der zum Thema alternative Lektüren immer wieder genannt werde, ist, dass es diese gar nicht gebe. Diesem Aspekt tritt Reichl entschieden entgegen, indem sie in ihrem Anhang eine Liste von alternativen Werken aufführt, die dafür sorgen können, dass ein diverserer Literaturkanon auch marginalisierte Menschen repräsentiert (Bi_PoC) und damit gegen einen latenten Rassismus (Klassismus, Ableismus) ankämpft.

Didaktische Hinweise

Teresa Reichl ermuntert die jugendlichen Leserinnen und Leser immer wieder dazu, ihre Lehrkräfte aufzufordern, auch alternative Lektüren zu lesen. Schließlich geben die Lehrpläne den Lehrerinnen und Lehrern diese pädagogischen Freiheiten. Insofern ist das Buch trotz einiger sprachlicher und inhaltlicher Zumutungen auch für Lehrkräfte zu empfehlen, die auf der Suche nach Lektüren sind, in denen marginalisierte Menschen über Marginalisierung schreiben. Eine kleine Auswahl an besprochenen Alternativlektüren soll hier wiedergegeben werden: 

  • Female forces: Sophie von La Roche: Geschichte des Fräuleins von Sternheim (damit Begründerin des Genres Frauenroman)
  • Jüdische Literatur: Gabriele Tergit: Effingers; Imre Kertész: Roman eines Schicksallosen 
  • Islam: Hengameh Yaghoobifarah: Ministerium der Träume (Thema Migration)
  • Sinti und Roma: Anja Tuckermann: Denk nicht, wir bleiben hier! Die Lebensgeschichte des Sinto Hugo Höllenreiner (Deutscher Jugendliteraturpreis) 
  • Behinderte Menschen: Raúl Aguayo-Kraúthausen: Dachdecker wollte ich eh nicht werden; Amelie Ebner: Willkommen im Erdgeschoss. Wie ich mich mit 17 im Rollstuhl wiederfand 
  • Queere Menschen: Meredith Russo: Als ich Amanda wurde; Dashka Slater: Bus 57 
  • BI_PoC: Tupoka Ogette: Exit racism; Angie Thomas: The hate u give (Deutscher Jugendliteraturpreis 2018)

Gattung

  • Sachbücher

Sachbuchkategorie

  • Literatur, Lesen, Sprache

Eignung

als Theorie für Lehrkräfte

Altersempfehlung

Jgst. 10 bis 13

Fächer

  • Deutsch

FÜZ

  • Kulturelle Bildung
  • Sprachliche Bildung
  • Werteerziehung

Erscheinungsjahr

2023

ISBN

9783709981764

Umfang

230 Seiten

Medien

  • Buch
  • E-Book