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Hans-Ulrich Treichel: Tagesanbruch

Besprechung

Bei Hans-Ulrich Treichels Erzählung „Tagesanbruch“ handelt es sich um das vierte Buch des Autors, das die Flüchtlingsgeschichte der Eltern zum Thema hat. Während in Treichels 1998 erschienenen Roman „Der Verlorene“ – der auch zur Schullektüre avancierte – das Kriegstrauma der Eltern, die unfähig sind, über das Erlebt zu sprechen, aus der Perspektive eines Jungen geschildert wird, hat sich in „Tagesanbruch“ die Sprechsituation umgedreht. Die Erzählung beginnt damit, dass eine Mutter ihren toten erwachsenen Sohn in den Armen hält, den sie in den letzten Monaten seiner Erkrankung gepflegt hat. Eigentlich müsste sie den Arzt informieren, stattdessen beginnt sie ein Gespräch mit dem toten Sohn, das schnell zu Monolog wird. In ihm erinnert sich die Mutter an ihr Leben an der Seite ihres kriegsversehrten Mannes, an das gemeinsam geführte Textiliengeschäft im Nachkriegsdeutschland, an das Glück, ein Klavier angeschafft zu haben, das als Zeichen der wiedererlangten Bürgerlichkeit im Wohnzimmer steht, auf dem der Sohn, von dem die Eltern meinen, er habe Klavierhände, aber nie gespielt hat. Im Schutz der Dämmerung werden die Worte der Mutter zunehmend zu einem Bekenntnis, indem sie auch das große Tabu der Familie zur Sprache bringt – die Vergewaltigung durch russische Soldaten in den letzten Kriegswochen in einem polnischen Wald in Anwesenheit ihres Mannes. Könnte die Ahnung, dass der Sohn womöglich in diesem Schreckensmoment gezeugt worden ist, der Grund dafür sein, dass ihr der Sohn immer fremd geblieben ist? Das intime und für den Leser erschütternde Gespräch mit dem Sohn wird mehr und mehr zur Selbstbefreiung der Mutter.

Didaktische Hinweise

Die Erzählung von Hans-Ulrich Treichel kann durchaus interessierten Schülerinnen und Schülern zur privaten Lektüre empfohlen werden. Als Klassenlektüre empfiehlt es sich aber weiterhin auf „Der Verlorene“ zurückzugreifen, da sich sie Schülerinnen und Schüler mit dem jugendlichen Protagonisten besser identifizieren können. Das lebenslange Schweigen der Eltern, das die Mutter in „Tagesanbruch“ durchbricht, ist auch hier ein zentrales Motiv von Treichels Schreiben.

Alle hier rezensierten Werke von Hans-Ulrich Treichel

Gattung

  • Kurzprosa, Erzählungen, Textsammlungen, Tagebücher

Eignung

in Auszügen geeignet

Altersempfehlung

Jgst. 11 bis 13

Fächer

  • Deutsch
  • Geschichte

Erscheinungsjahr

2016

ISBN

9783518425251

Umfang

86 Seiten

Medien

  • Buch
  • E-Book