Jackie Thomae: Brüder

Besprechung

Die zwei Brüder, um die es in diesem Roman geht, kennen sich nicht. Ihr senegalesischer Vater hat in der DDR Medizin studiert. Zwei Söhne von zwei unterschiedlichen Frauen bleiben mit ihren Müttern in Leipzig und Berlin zurück. Diesen Söhnen, aber auch ihren Müttern und Frauen, widmet die Autorin, die selbst einen afrikanischen Vater hat, die beiden Teile des Buches, die erst spät zusammengeführt werden. Mick ist ein begabter, beliebter, aber letztlich zielloser Szenetyp in den Berliner Technoclubs der neunziger Jahre, der sich die Nächte um die Ohren schlägt und seine bürgerlich-arrivierte Freundin, die das nicht sein will, ständig betrügt und belügt, bis sie ihn dann endlich verlässt, was schließlich zu einer Wende in seinem Leben führt. Der Bruder ist das Gegenteil – er lebt und arbeitet in London als ehrgeiziger Stararchitekt und jettet um die Welt. Bei einem Zusammenstoß mit einer seiner schwarzen Studentinnen rastet er aus und ausgerechnet er sieht sich plötzlich als sexuell-rassistisch motivierten Aggressor beschuldigt. Sein strukturiert-planvoll-zwanghaftes Leben gerät völlig aus dem Gleichgewicht. Der Roman enthält eine Fülle von Themen: Es geht um Identitätsfragen, um Rassismus, um Familien (vaterlose, vor allem, mit möglichen Ersatzfiguren), um Lebenskonzepte, um Ost- und Westdeutschland, um Liebesbeziehungen etc. Diese Komplexität ist Vorzug und Nachteil zugleich, so liest sich Micks endlose Ziellosigkeit manchmal etwas ermüdend, die Schilderungen der jeweiligen Atmosphäre (etwa eines schaurigen Kolumbien-Trips) aber können immer überzeugen und insgesamt gibt der Roman viel Stoff zum Nachdenken.