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Édouard Louis: Im Herzen der Gewalt

Besprechung

In seinem autobiographischen Roman „Im Herzen der Gewalt“ rekonstruiert der französische Bestsellerautor Édouard Louis die Geschehnisse einer Nacht, die sein Leben für immer verändern sollen. In Paris auf dem Place de la République begegnet Édouard auf dem Weg nach Hause in einer Dezembernacht einem jungen Mann namens Reda, der ihn in ein Gespräch verwickelt. Édouard nimmt Reda, dessen Familie nach Frankreich eingewandert ist und der algerische Wurzeln hat, mit in seine kleine Wohnung. Was als Flirt beginnt, endet mit roher Gewalt: Reda würgt Édouard mit einem Schal und bedroht ihn mit einer Waffe, der Abend endet beinahe mit einem Mord. Der Roman selbst setzt am Morgen danach ein, als Édouard nach dem Verbrechen wie besessen seine Wohnung putzt. Édouard will das Unfassbare ungeschehen machen. Gleichzeitig will er das Vorgefallene verstehen und rekonstruieren. Aber jeder Versuch, das Geschehen zu ordnen, führt dazu, dass sich Édouard in immer mehr Widersprüche und Ungereimtheiten verstrickt. Wie etwa kann es sein, dass die Polizei noch das Wodkaglas von Reda in seiner Wohnung findet, wo doch der Erzähler meint, alles akribisch geputzt zu haben? Verstärkt wird die Irritation als Édouard, der zu seiner Schwester fährt, um ihr von dem Vorfall zu erzählen, ihre Fassung der Nacht, die diese wiederum ihrem Ehemann erzählt, belauscht. Der Effekt: Die Wahrheit verschwimmt nicht nur für Édouard, sondern auch für den Leser immer mehr, auch wenn er – versteckt hinter der Wohnzimmertür – gedanklich versucht, immer wieder in die Version der Schwester einzugreifen. Es zeigt sich aber auch, dass Édouard längst die Kontrolle über seine Wahrheit verloren hat: Kann es etwa sein, dass er es selbst war, der das Eskalieren der Gewalt verursacht hat, indem er seinen Besucher beschuldigte, ihm Handy und iPad stehlen zu wollen?

Didaktische Hinweise

Das französische Original ist 2016 unter dem Titel „Histoire de la violence“ erschienen, also zwei Jahre nach dem Debüt „En finir avec Eddy“ und zwei Jahre vor „Qui a tué mon père“, in dem es um seine soziale Herkunft und darum geht, wie die Regierung die Arbeiterklasse behandelt. Seit März 2019 gibt es die deutsche Ausgabe als Taschenbuchausgabe. Das Buch wurde in Frankreich kontrovers aufgenommen. Die latent vorhandene Gewalt in der Gesellschaft, gerade auch und im immer noch aus der Öffentlichkeit gedrängten Milieu der Homosexualität (Angst vor Ansteckung mit dem Aids-Virus), wird herausgestellt. Der Täter ist Kabyle, aber für die Beamten ist der Protagonist seiner Vorliebe für „alles Arabische“ zum Opfer gefallen. Kritiker werfen dem Autor Determinismus vor und einen Einzelfall klischeehaft auszugestalten sowie vor allem die Figur der Schwester karikaturhaft zu verzerren.

Édouard Louis, dessen Literatur als konfrontative Literatur bezeichnet wird, ist literarisch äußerst interessant. Auch wenn sich „Im Herzen der Gewalt“ als Unterrichtslektüre, auch aufgrund seiner ungeschonten Brutalität, nicht unmittelbar eignet, so sind die beiden anderen Texte der Trilogie „Alles über „Eddy“ und „Wer hat meinen Vater umgebracht“ als Lektüre im (Französich-)Unterricht sehr zu empfehlen. In Berlin wurde „Im Herzen der Gewalt“ mittlerweile an der Schaubühne inszeniert.

Alle hier rezensierten Werke von Édouard Louis

Gattung

  • Romane

Eignung

themenspezifisch geeignet

Altersempfehlung

Jgst. 10 bis 13

Fächer

  • Französisch
  • Sozialkunde/Politik und Gesellschaft
  • Deutsch

FÜZ

  • Interkulturelle Bildung
  • Politische Bildung
  • Soziales Lernen

Erscheinungsjahr

2017

ISBN

9783103972429

Umfang

224 Seiten

Medien

  • Buch