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Harper Lee: Wer die Nachtigall stört

Besprechung

Der Roman, der in dem fiktiven Städtchen Maycomb in Alabama in den 1930er Jahren spielt, beginnt mit einem Rätsel: Die Ich-Erzählerin Scout berichtet von einem Unglück, das eine kleine Behinderung am Arm ihres Bruders Jem zur Folge hatte. Im Rückblick wird in einem sehr langen Bogen erzählt, wie es dazu kam. Scout und Jem sind die Kinder des aufrechten Volksvertreters und Rechtsanwalts Atticus, der in Maycomb eine Kanzlei führt. Da seine Frau schon früh starb, führt die schwarze Calpurnia den Haushalt. Sie ist es, die Atticus einen besonderen Fall anvertraut: Ihr Freund Tom Robinson wird angeklagt, die weiße Mayella Ewell vergewaltigt zu haben. Atticus übernimmt die Verteidigung, obwohl ihm klar ist, dass der schwarze Tom den Prozess verlieren wird. Das Erzähltempo gleicht dem langsamen Leben in der „müden, alten” Stadt Maycomb. Die Kinder fürchten sich vor ihrem Nachbarn Boo Radley, über dessen Vergangenheit man sich wilde Geschichten erzählt und den seit 15 Jahren niemand mehr zu Gesicht bekommen hat. Gerade das weckt das Interesse der Kinder, die einerseits versuchen, Boo aus der Reserve zu locken und sich andererseits davor fürchten, ihm wirklich zu begegnen. Je näher der Prozess rückt, desto aufgeheizter wird die Stimmung in dem Städtchen; erstmals hören die Kinder auch von Erwachsenen, auch innerhalb der eigenen erweiterten Familie, den laut geäußerten Vorwurf gegenüber Atticus, er sei ein „Niggerfreund”, weil er einen Schwarzen verteidigt. Er erzieht seine Kinder gewaltfrei und lehrt sie, vorurteilsfrei nicht nur auf andere zuzugehen, sondern auch so zu sprechen. „Schlüpfe in die Haut des anderen und gehe ein wenig darin herum.” gehört zu den Grundüberzeugungen, die er seinen Kindern vermittelt. An einem Abend zieht ein wütender Mob zum Gefängnis, um das Gefängnis zu stürmen und in Selbstjustiz Tom Robinson zu richten. Atticus bewacht den Ort, steht aber allein den aufgebrachten Männern gegenüber. Ausgerechnet Scout löst die Situation auf, indem sie einen der Farmer erkennt und auf seine eigene Armseligkeit anspricht. 

Die Gerichtsverhandlung selbst sorgt dafür, dass sich in Maycomb Volksfeststimmung verbreitet. Auch die Kinder schmuggeln sich in den Gerichtssaal und folgen dem Prozess. Atticus deckt mit seinen Verhören die Unsinnigkeit der Anklage auf. Immer deutlicher wird, dass Mayella Ewell kein Vergewaltigungsopfer ist, sondern selbst gegen die Gesellschaftsordnung verstoßen hat, von ihrem Vater bestraft wurde und beide nun die Schuld auf Tom Robinson schieben wollen. In seinem Schlussplädoyer verweist Atticus auf die amerikanische Verfassung und die Grundüberzeugung „All men are created equal”. Trotz aller Bemühungen erklären die Geschworenen Tom für schuldig, was einem Todesurteil gleicht. Im letzten Teil des Romans wird erzählt, wie es zum Unglück kam, infolgedessen Jem eine Behinderung am Arm davontrug: Trotz der Verurteilung Toms sann Mayellas Vater auf Rache und bedrohte den Richter, die Witwe und Atticus und überfiel schließlich die Kinder. Nur durch das beherzte Eingreifen von ausgerechnet Boo Radley wurde Schlimmeres verhindert.

Didaktische Hinweise

Der Roman, der im Original 1960 erschienen ist, ist ein Klassiker der amerikanischen Literatur und durch seine Botschaft auch heute noch aktuell. Geeignet ist auch der Einsatz der 2018 erschienenen Graphic Novel, bearbeitet und illustriert von Fred Fordham bzw. der Vergleich mit der Verfilmung von Robert Mulligan aus dem Jahr 1962.

Wahrscheinlich hat der Roman seinen originären Platz im Englischunterricht, sei es als klassische Lektüre oder als Referat. Er kann aber auch z.B. im Vertiefungskurs Deutsch in der gymnasialen Oberstufe eingesetzt werden, wenn es um das Thema Weltliteratur geht.

Themen für den Unterrichtseinsatz:

  • Lektüre als Bildungsroman und Coming-of-Age-Geschichte: Entwicklung der Protagonistin Scout und ihre sich ändernde Bewertung des Vaters
  • Erörterung von Aspekten wie Rassismus, Vorurteile und Ungerechtigkeit
  • Charakterisierung der Figuren über die Interpretation des zentralen Symbols der Nachtigall bis hin zu der Auseinandersetzung mit der historischen und gesellschaftlichen Einordnung im amerikanischen Süden der 1930er Jahre
  • Diskussion der rassistischen Vorurteile, die sich im Roman zeigen, und des unfairen Prozesses gegen Tom Robinson: Um die vorherrschende Ordnung zu erhalten, von der die Geschworenen selbst nur profitieren, verurteilen sie den schwarzen Arbeiter in dem Wissen, dass er unschuldig ist.
  • Diskussion um Vorurteile generell: Ausgerechnet der weiße Nachbar Boo Radley, dem gegenüber die Kinder so viele unbegründete Vorurteile hegten, rettet ihnen das Leben. Sie, die von anderen Menschen in Maycomb aufgrund deren Vorurteilen gegenüber der schwarzen Bevölkerung kritisiert werden, müssen ihr eigenes harsches Vor-Urteil gegenüber Boo korrigieren.
  • Gerechtigkeit und Moral: Auseinandersetzung mit der Rolle von Atticus Finch als moralisches Gewissen der Stadt und der Frage, was wahre Gerechtigkeit bedeutet
  • Diskussion über die symbolische Bedeutung der Nachtigall bzw. der Spottdrossel (engl. Original: To kill a mockingbird)

Zu Harper Lees Narration gibt es aus den verschiedenen Verlagshäusern umfangreiche Unterrichtsmaterialien. 

Dazu kommen Einsatzmöglichkeiten, die die Gattung der Graphic Novel bietet. 

  • Ziel: literarisches Lernen mit Text und Bild im Sinne des erweiterten Literaturbegriffs
  • Gattung der Graphic Novel kennenlernen (Information dazu z. B. in Praxis Deutsch Nr. 252)
  • Bildsprache einer Graphic Novel untersuchen (Ästhetisches Lernen)
  • Decodieren des Zusammenspiels von Text und Bild
  • Figurenkonstellation erarbeiten
  • Charakterisieren der Hauptpersonen

Gattung

  • Romane

Eignung

als Klassenlektüre geeignet

Altersempfehlung

Jgst. 10 bis 11

Fächer

  • Deutsch
  • Englisch
  • Geschichte
  • Interkulturelle Erziehung

FÜZ

  • Interkulturelle Bildung
  • Werteerziehung
  • Politische Bildung

Erscheinungsjahr

2016

ISBN

9783499271571

Umfang

464 Seiten

Medien

  • Film
  • Buch
  • Hörbuch
  • E-Book