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Ivan Jablonka: Laëtitia oder das Ende der Mannheit

Besprechung

Bericht über familiäre und gesellschaftliche Hintergründe des Mordes an der 18jährigen Laëtitia Perrais im Jahr 2011

Der Autor, der Geschichte an einer Pariser Universität lehrt, beschreibt, wie und warum er sich des Falles der jungen Laëtitia angenommen hat, die von einem mehrfach vorbestraften, vorzeitig aus dem Gefängnis entlassenen Gewalttäter entführt, eventuell vergewaltigt und zerstückelt worden war. Er wandte sich an die Anwältin von Laëtitias Zwillingsschwester (der Brief ist wörtlich im Text enthalten), erhielt von ihr Informationen über die juristischen Details und konnte zu ihr und Jessica Kontakt aufnehmen. Sein Motiv sieht er darin, herauszufinden, wer Laëtitia war, woher sie kam und wie es zu dem Mord kommen konnte, auch um aufklärend solchen Taten (er ist Vater dreier Töchter, schreibt er der Anwältin) entgegenzuwirken. Dabei geht es auch um den Pflegevater der Mädchen, der seine Tochter Jessica und vielleicht auch Laëtitia über Jahre missbraucht hat. Jablonka entschuldigt sich fast dafür, ein Mann zu sein und rechtfertigt zu Beginn und im vorletzten Kapitel – es trägt den Titel „Ich bin Laëtitia“, angelehnt an den Ausdruck von Solidarität in „Je suis Charlie“ – sein Interesse an Jessica. Er ist sich wohl selbst einer gewissen Übergriffigkeit bewusst: Er, der ältere, einflussreiche Geschichtsprofessor befragt sie, die junge Frau, die nach den Strafprozessen gegen den Mörder und ihren Pflegevater, einem Aufenthalt in der Psychiatrie und der Trennung von ihrer lesbischen Freundin inzwischen allein lebt und in einer Kantine arbeitet. Jablonka dokumentiert detailliert den Lebensweg der Zwillinge aus einem zerrütteten Elternhaus in Fürsorgeeinrichtungen, schließlich die Pflegefamilie, dann Laëtitias Verschwinden und ihren Tod. Er verfolgt anhand von Kartenmaterial die Suche der Polizei, die erst zwei Wochen nach dem Verschwinden die zerstückelte Leiche Laëtitias in einem Tümpel findet, erforscht Ausbildung, Bekanntschaften, Wünsche und Träume der jungen Frau und schildert das Vorgehen der Justiz und die Prozesse. Den Tatsachen, die zu lebhaften Reaktionen in Presse und Öffentlichkeit ganz Frankreichs führten, fügt er seine Thesen hinzu, die erste davon recht subjektiv: Laëtitia sei dabei gewesen, sich von ihrem bisherigen Leben, mit wechselnden Männern, Abhängigkeit, erzwungenem Sex und Drogen zu lösen und habe dem Täter gedroht, ihn anzuzeigen, was sie das Leben kostete. Die zweite: Der Pflegevater hatte sich zunächst als Rächer seiner geliebten Tochter dargestellt und erhielt unverdient Popularität durch den damaligen Staatspräsidenten. Um die Justiz bloßzustellen, die den Täter vorzeitig aus dem Gefängnis entlassen hatte, lud Nicolas Sarkozy die Pflegeeltern unter großer Beteiligung der extra geladenen Presse in den Elysée-Palast ein. Der wirklich trauernde und schuldbewusste leibliche Vater wurde später unter Ausschluss der Öffentlichkeit vom Premier Ministre empfangen. Der Täter wurde aufgrund der Beweise schuldig gesprochen, obwohl er seine Tat bis heute nicht gestanden hat, der Pflegevater kam ins Gefängnis.

Didaktische Hinweise

Unter ethischen Gesichtspunkten kann man einige Fragen stellen. Sie können auf der Metaebene die Motivation und das Vorgehen des Autors sowie seine Thesen über den Anteil Politik an dem Fall und seiner schwierigen Aufklärung betreffen. Sie können aber auch die beteiligten Personen, die Schuldfrage – der leibliche Vater der Zwillinge hat das Sorgerecht wegen eines bewaffneten Vergewaltigungsversuchs an der psychisch kranken Mutter verloren – und das Bild von Männlichkeit in unserer Gesellschaft in den Mittelpunkt stellen. Die sperrige Übersetzung des Titels ergibt viel Diskussionsstoff.

Gattung

  • Sachbücher

Sachbuchkategorie

  • Politik, Gesellschaft
  • Pädagogik, Psychologie

Eignung

in Auszügen geeignet

Altersempfehlung

Jgst. 10 bis 13

Fächer

  • Deutsch
  • Ethik/Religionslehre (Evang. Religionslehre
  • Französisch

FÜZ

  • Kulturelle Bildung
  • Werteerziehung

Erscheinungsjahr

2019

ISBN

9783957576996

Umfang

387 Seiten

Medien

  • Buch
  • E-Book