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R. G. Grant: Die Geschichte der Sklaverei

Besprechung

Zweifellos gehört die Sklaverei zu den dunkelsten Kapiteln der Menschheitsgeschichte. Der Autor geht denn auch in seiner Darstellung bis zum Altertum und zur Antike zurück, wurden doch damals bereits Kriegsgefangene als Sklaven gehalten. Aber zu wenig ist bekannt, dass europäische Händler in Afrika Sklaven gegen Waren tauschten, dass sie dann die Sklaven nach Amerika brachten, dort verkauften und Produkte aus den Plantagen schließlich wieder nach Europa brachten – ein wahrer „Dreieckshandel“, wie dieses System genannt wurde. Dass alle Seiten dieses Dreiecks mehr mit der Sklaverei zu tun haben als mit dem Geschick der Händler, wird leicht vergessen.

Gerade die Sklaverei hat zahlreiche Legenden hervorgebracht, die ihren Weg bis in die Schulbücher gefunden haben. Jörg Häntzschel, Rezensent des Buches von D. Eltis und D. Richardson: Atlas of the Transatlantic Slave Trade (New Haven 2010), meint, dass der Sklavenhandel „merkwürdig quer in der Weltgeschichte“ stehe. Schließlich liege hier einem der großen Verbrechen gegen die Menschlichkeit kein politischer, ethnischer oder religiöser Konflikt zugrunde, kein Monarch habe ihn angeordnet. Außerdem sei die Assoziation des Sklavenhandels mit der Baumwollindustrie in den Südstaaten der USA nicht aufrechtzuerhalten. Damit äußern sich allerdings Eltis und Richardson ganz anders als Grant, steht – von Ausnahmen abgesehen – bei ihm doch die Situation in Amerika bzw. in den USA im Mittelpunkt, auch die Baumwollindustrie wird berücksichtigt. Kein Wort aber davon, dass etwa die Klassiker bzw. die Bestsellerautoren Stevenson oder Rowling in ihren Büchern auf die Geschichte des Hafens Bristol nicht explizit eingehen, war doch Bristol in der Mitte des 18. Jahrhunderts Zentrum des britischen Sklavenhandels. Robert Louis Stevenson lässt in „Die Schatzinsel“ (dt. u.a. 1956, aus d. Engl. v. W. Borgers) zwar den Jungen Jim Hawkins verwundert sein über das muntere Treiben im Hafen von Bristol, aber Jim verliert kein Wort über die zweifellos ebenfalls zu sehenden Anzeichen der Sklaverei, auch wenn er im 18. Jahrhundert zur Feder greift und sich zurückversetzt in die Zeit, als sein „Vater das Gasthaus ‚Zum Admiral Benbow’ hielt“ (1956, 7). Als seit Mitte der 1960er-Jahre das Mädchen Joanne Rowling in der Nähe von Bristol aufwächst, ist die Verstrickung der Stadt in den Sklavenhandel längst Geschichte. Eine öffentliche Aufarbeitung dieser Geschichte, wie sie heute in Bristol versucht und auch im English National Curriculum für elf- bis vierzehnjährige Schüler thematisiert wird, gab es damals nicht. Ihre Harry Potter-Bücher lassen allerdings erkennen, dass sich die Autorin mit dem Thema der Sklaverei beschäftigt hat. Rowling identifiziert sich wenigstens teilweise mit der von ihr geschaffenen ehrgeizigen Zauberin Hermine, die über das traurige Los der Hauselfen längst Bescheid weiß. Betroffen ist sie, als sie erfährt, dass auch in ihrem unmittelbaren Lebensbereich Hauselfen als Sklaven gehalten werden - ohne Lohn, ohne Urlaub, ohne Kranken- und Rentenversicherung und natürlich ohne Rechte. Spiegelt diese Situation Joanne Rowlings Gefühle wider, als sie, vielleicht in Hermines Alter, von dieser im doppelten Sinne „schwarzen“ Vergangenheit Bristols erfährt? Andere Hinweise in „Harry Potter“ enthalten eine deutliche Kritik speziell an der durch die Schule verbreiteten offiziellen Geschichtsschreibung und bestätigen den Eindruck, dass sich die Autorin mit der Bedeutung der Sklaverei in ihrer engeren Heimat sehr intensiv auseinander gesetzt hat: „Ich hab in der Bibliothek gründlich nachgeforscht. Die Elfenversklavung reicht schon Jahrhunderte zurück. [...] Nicht ein einziges Mal auf über tausend Seiten erwähnt die Geschichte von Hogwarts, dass wir alle bei der Unterdrückung von hundert Sklaven mitwirken“ (HP Bd. 4, S. 236, 251). Sklaven werden von Joanne Rowling allerdings nicht als Menschen dargestellt, sondern als „Geschöpfe“, „komische Kreaturen“ oder als fantastische Wesen mit Fledermausohren.

Didaktische Hinweise

Trotz der hier anzubringenden Kritik an Grants Darstellung, dass man sich dort eine Darstellung über die Bedeutung europäischer Länder am Sklavenhandel viel ausführlicher vorstellen könnte (vgl. z. B. das Kinderbuch von Dolf Verroen 2005), enthält der Band zahlreiche unbekannte Abbildungen und andere Quellen zum Thema. Der Rezensent Harald Eggebrecht bezeichnet Grants Buch recht zutreffend als „knapp im Text, überzeugend in der Bildauswahl“. Auch wird eine Vielzahl von Aspekten der Sklaverei aufgegriffen, die es in dieser Menge bisher nicht gegeben hat. Für eine tiefergehende Auseinandersetzung mit dem Thema muss allerdings auf spezielle Literatur verwiesen werden (vgl. z. B. Eltis / Richardson 2010), zumal das Buch von Grant überhaupt keine Literaturhinweise enthält. Da es an vielen Schulen zunehmend Kinder aus Afrika gibt, könnte die Verwicklung der europäischen Staaten in die Sklaverei ein Thema sein, das künftig Referate oder individuelle Lektüre zur Folge haben wird. Auch das Thema „Globalisierung“ ist eng mit der Kolonialisierung verbunden. Jedenfalls sollte der Band trotz seiner Mängel einen Platz in Schulbibliotheken finden. Literaturangaben:Rowling, Joanne K.: Harry Potter und der Feuerkelch. Hamburg: Carlsen 2000 [HP Bd. 4] - Stevenson, Robert Louis: Die Schatzinsel. Aus d. Engl. v. W. Borgers. Gütersloh: C. Bertelsmann 1956 - Verroen, Dolf: Wie schön weiß ich bin. Wuppertal: Peter Hammer 2005 - Häntzschel, Jörg: Pioniere globalen Wirtschaftens [Rezension zu David Eltis / David Richardson: Atlas of the Transatlantic Slave Trade. New Haven: Yale University Press, 2010]. In: Süddeutsche Zeitung 67 (2011), Ausgabe 57, S. 14 (vom 10.03.2011)- Eggebrecht, Harald: Schande der zivilisierten Gesellschaft. [Rezension zu R. G. Grant: Die Geschichte der Skla-verei. München: Dorling Kindersley, 2010]. In: Süddeutsche Zeitung 66 (2010), Ausgabe 278, S. V2/6 (vom 01.12.2010)

Gattung

  • Sachbücher

Sachbuchkategorie

  • Geschichte, Archäologie

Eignung

in Auszügen geeignet

Altersempfehlung

Jgst. 6 bis 10

Fächer

  • Geografie/Erdkunde
  • Geschichte
  • Interkulturelle Erziehung

Erscheinungsjahr

2010

ISBN

9783831016808

Umfang

192 Seiten

Medien

  • Buch