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Laurent Binet: Die siebte Sprachfunktion

Besprechung

„Das Leben ist kein Roman. Möchte man jedenfalls meinen.“ So beginnt der Romane um den Tod eines der bedeutendsten Semiotiker des 20. Jahrhunderts. Schon nach 10 Seiten gerät der geistig abwesende, noch vom Tod seiner Mutter und von seinem Mittagessen mit François Mitterand betäubte Roland Barthes unter einen Lieferwagen. Er kommt ins Krankenhaus und stirbt bald darauf, ohne sich wesentlich mitteilen zu können. Bis hierher sind die äußeren Ereignisse historisch belegt. Nun kommt Kommissar Bayard ins Spiel, der den Ich-Erzähler ablöst und eine fiktive Figur ist. Er glaubt nicht an einen Verkehrsunfall, da Barthes Papiere verschwunden sind und er bei seinem Besuch im Krankenhaus kurz vor dessen Tod in den Augen des Verletzten Angst zu erkennen glaubt. Bayard erkennt, dass er für seine Ermittlungen zu wenig oder gar keine Ahnung von dem Spezialgebiet des Toten, der Semiotik, ja nicht einmal von Linguistik überhaupt hat. Er begibt sich in die Universität von Vincennes und trifft dort den jungen Simon Herzog, der sich als Kenner sowohl der Sprachwissenschaft als auch der Wissenschafts-Szene erweist. Sherlock Holmes und Watson haben sich gefunden und es beginnt ein bunter, verwirrender, zuweilen obszöner und sehr amüsanter Satire-Reigen, der alle wichtigen Politiker Frankreichs, allen voran Mitterrand und Giscard d'Estaing, und Wissenschaftler der frühen 80ger Jahre, von Foucault und Kristeva über Althusser bis Umberto Eco, ins Spiel bringt. Der Leser erhält immer wieder Hinweise auf Verfolger in einem schwarzen Citroën, die Bayard nicht wahrnimmt. So ist auch der Detektiv für den Leser keine zuverlässige Stütze in der immer bunter werdenden Geschichte um eine Geheimloge und den verschwundenen Aufsatz mit der These über die siebte Sprachfunktion von Roman Jacobson, der seinen Leser mit der absoluten Macht über Handlungen der Menschen durch Sprache ausstatten kann. Schauplätze wechseln von Paris über die Cornell-Universität in Ithaca im Staat New York nach Bologna. Binet entfaltet in seiner Satire ein Feuerwerk auch der Sprachregister, das Kristian Wachinger treffend wiedergegeben hat.

Didaktische Hinweise

Ein Philosophie- oder Ethikkurs lässt sich mit der Lektüre dieses Krimis bestreiten, wenn man allen Spuren nachgeht, die der Autor gelegt hat, und alle Theorien erforscht, die vorkommen oder auf die angespielt wird. Diese Theorien werden auch angewandt und zum Beispiel ein Tennismatch zwischen Borg und McEnroe als Zeichensprache decodiert. Alle Elemente der klassischen Detektivgeschichte, Spuren, darunter auch falsche, Indizien, Zeugen, lassen sich, oft in verfremdeter Form in dem Romane ausmachen. Binets Romane HhhH, siehe Annotation 2012, behandelt ebenfalls ein historisches Ereignis. Ein Vergleich mit Umberto Ecos „Im Namen der Rose“ bietet sich an: auch da geht es um ein fiktives verschwundenes Schriftstück und der Autor ist selbst eine Figur in Binets Text.

Alle hier rezensierten Werke von Laurent Binet

Gattung

  • Romane

Eignung

themenspezifisch geeignet

Altersempfehlung

Jgst. 9 bis 13

Fächer

  • Deutsch
  • Französisch
  • Philosophie

Erscheinungsjahr

2017

ISBN

9783498006761

Umfang

524 Seiten

Medien

  • Buch