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Christina Hesselholdt: Vivian

Besprechung

Stimmen aus dem Leben der Photographin Vivian Maier lassen ihr Porträt entstehen. Vivian Maier wurde 1926 in New York City geboren und wuchs in einem Dorf in den französischen Alpen auf. 2009 fand man sie verarmt und hilflos auf ihrer Stamm-Parkbank am Lake Michigan in Chicago, kurz darauf starb sie im Krankenhaus. Vivian Maier wäre heute vergessen, hätte nicht ein junger Mann bei einer Auktion 2007 aus Neugierde einen Haufen Kartons mit nicht entwickelten Filmrollen ersteigert und die Entdeckung eines Lebenswerks gemacht. Vivian hatte in einigen Familien als Kinderfrau gearbeitet, von einigen ihrer Zöglinge stammen die wenigen Zeugnisse ihres Lebens. Bei Spaziergängen mit den Kindern und bei den Reisen, die sie allein unternahm, hing eine Rolleiflex über ihrem Bauch und sie fotografierte Alltagsszenen. Ihre Photos, darunter auch viele Selbstporträts, hat sie, vielleicht aus Geldmangel, meist nicht entwickeln lassen. Dass es sich um Kunstwerke handelte, war ihr wohl nicht bewusst, obwohl die Streetphotography als autonome Kunstform sich in Amerika bereits etablierte.

Aus dem wenigen, was über Vivian Maier bekannt ist, hat die dänische Schriftstellerin Christina Hesselholdt 2016 einen kurzen Roman gemacht. Ein Erzähler übernimmt darin die Leitung eines Chors von Stimmen, unter ihnen Vivian selbst, genannt Viv. Sie erzählen von Vivian, erzählen auch ihre eigene Geschichte, wie Sarah, bei der Vivian gearbeitet hat, oder treten in den Dialog mit ihr wie der Erzähler. Vivian schildert, was sie in der Stadt gesehen und erlebt hat, und was sie darüber und über die Menschen, mit denen sie zu tun hat, denkt. Über das Fotografieren spricht sie kaum, das tut eher Ellen, Sarahs Tochter. Der Erzähler, der sich selbst samt seiner Bulldogge vorstellt, bewegt sich auf verschiedenen Ebenen: Er redet Viv mit „du“ an, worauf sie manchmal direkt reagiert, oder bezieht die/den Leser/in ein („wir“), er spricht über sein Objekt, er erklärt sein Vorgehen bei der Konstruktion der Geschichte und fügt historisches Wissen ein. Stilistisch wirkt das manchmal recht manieriert, erzählerisch führt es zu Zweifeln, ob man einer Figur so viel künstliches Innenleben, zum Beispiel sogar die Begeisterung für die Wahl Kennedys und Obamas und die Gedanken unmittelbar vor ihrem Tod, andichten sollte. Die/der Leser/in möchte die Wirklichkeit vielleicht selbst mit Phantasie beleben und eine interessante Frau entdecken.

Didaktische Hinweise

Die Geschichte der Entdeckung von Vivian Maiers Kunst ist allein eine Art Roman. Heute kennt man etwa 150000 Photos, 2018/19 gab es eine große Ausstellung in Berlin, eine Fernsehreportage (BBC) und ein Dokumentarfilm wurden gedreht („Finding Vivian Maier“, verfügbar bei Amazon Prime). Da in dem Roman die Fotos und technische Details (Kameras, Objektive, Einstellungen) keine Rolle spielen, bleibt viel zu entdecken. Eine Auswahl der Bilder kann man unter hier sehen. Die Biografie ist soweit möglich erschlossen. Seit vielen Jahren läuft ein Rechtsstreit um die Urheberrechte an den Bildern. Bis zu einer Lösung hat John Maloof, der Entdecker der Photos, das Verfügungsrecht, von ihm stammt der Dokumentarfilm. Hesselholdts Roman ist die einzige fiktionale Fassung der Geschichte auf Deutsch. In Frankreich hat Gaëlle Josse 2019 „Une femme en contre-jour“ veröffentlicht, das zu einem Vergleich anregen kann. Mit ähnlich prätentiöser Erzählform fordert „Ein endloser Sommer“ von Hesselholdts Ex-Mann, Madame Nielsen, zum Vergleich heraus.

Gattung

  • Romane

Eignung

in Auszügen geeignet

Altersempfehlung

Jgst. 9 bis 13

Fächer

  • Deutsch
  • Ethik/Religionslehre (Evang. Religionslehre
  • Kunst

FÜZ

  • Kulturelle Bildung

Erscheinungsjahr

2020

ISBN

9783446265899

Umfang

206 Seiten

Medien

  • Buch
  • E-Book