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Max Domarus: Hitler. Reden und Proklamationen 1932-1945. Kommentiert von einem Deutschen Zeitgenossen

Besprechung

Der Untergang des alten Würzburg am 16. März 1945 ließ in Max Domarus (1911/1992; Historiker, Archivar) den Entschluss reifen, mit der Veröffentlichung gesammelter Reden und Proklamationen Hitlers an die „Irrtümer so vieler Zeitgenossen zu erinnern“, die den NS-Diktator unterschätzt hatten (Alan Bullock). Eine erste Sammlung (1932-1934) erschien 1962, gefolgt von einer Parallel-Biographie Adolf Hitlers und Benito Mussolinis unter dem Titel „Zwei Wege – gleiches Ende“ (1968). Aus dem am Ende vierbändigen, chronologisch aufgebauten und kommentierten Gesamtwerk „Hitler. Reden und Proklamationen 1932-1945. Kommentiert von einem Deutschen“, das in Bibliotheken und Universitäten weite Verbreitung und Zustimmung von anerkannten Historikern fand, liegt anlässlich einer Preissenkung für dieses Standardwerk dem Rezensenten Band 2 vor, der die Jahre 1935 bis 1938 erfasst (S. 465-1000 des Gesamtwerks). Die Quellen werden jeweils in eine Jahresübersicht eingebunden und als Einzeldokumente kurz kommentiert. Als Hauptziel seiner Politik erhofft Hitler in seinem Neujahrsappell 1935 die Rückkehr des Saargebiets (Parole „Deutsch ist die Saar!“) nach der für den 13.01.1935 festgesetzten Volksabstimmung unter Völkerbundsmandat (90,5% Pro-Stimmen, DNB-Meldung). Domarus listet zum Jahresende die innenpolitischen „Triumphe“ Hitlers auf - die bedingungslose Unterordnung der Eliten von NSDAP und Wehrmacht, die Auflösung von Studentenverbindungen und -korporationen sowie des „Stahlhelm“, die Erklärung der Hakenkreuzfahne als National- und Reichskriegsflagge, die Einführung der einjährigen allgemeinen Wehrpflicht und einer SS-Verfügungstruppe („SS-Leibstandarte Adolf Hitler“) - und erwähnt Hitlers zunehmende Gereiztheit über den „Einfluß des kulturell-intellektuellen Judentums“ und über die Kritik aus Kreisen von Akademikern. Für 1936 dokumentiert Domarus als bedeutende Etappen der Sicherung der NS-Herrschaft: Die Ausdehnung der allgemeinen Wehrpflicht auf 2 Jahre, die Einbeziehung des entmilitarisierten Rheinlands in die Militärhoheit des Deutschen Reiches, die Nutzung des psychologischen Effekts der Sommer- und Winter-Olympiade (Berlin, Garmisch-Partenkirchen), die deutsche Intervention im Spanischen Bürgerkrieg als Truppenübungs- und Waffenerprobungsplatz und die Vereinbarung zwischen Hitler und Mussolini nach dessen Abessinienabenteuer, den in Braunau am Inn geborenen Edmund Glaise von Horstenau (1882-1946) als Kabinettsmitglied gegen den Widerstand von Schusschnigg am Wiener Ballhausplatz zu installieren. Das „Jahr der Wiederherstellung der deutschen Ehre“ (1936) endet mit dem deutsch-japanischen Abkommen gegen die Komintern (25.11.) und der Beisetzung des Generalobersts von Seeckt, dem Begründer der „Reichswehr“ der Weimarer Republik, die von den Nationalsozialisten stets als „100 000-Mann-Heer“ diffamiert wurde. 1937 gewinnt die Außen- und Militärpolitik Hitlers deutlich aggressivere Züge (vgl. Hitlers Rede vom 05.11.1937). Er trennt sich von seinem (katholischen) Kindheitsglauben und sieht sich selbst als „Vollstrecker göttlichen Willens“. Domarus bewertet 1937 als Jahr der „Stille vor dem Sturm“, eine Zeit der Geheimreden im Hinblick auf politisch-militärische Ziele. Gegenüber den NS-Propagandaleitern, den Militärs und den Wirtschaftsführern, aber auch gegenüber ausländischen Freunden wie Aga Khan sah er in die „nahe Zukunft“: Österreich („Fall Otto“), Tschechoslowakei („Fall Grün“), Danzig und der Korridor, „Lebensraum im Osten“ (vgl. auch seine Vorstellungen aus „Mein Kampf“). Bzgl. der „beiderseitigen Minderheitengruppen“ (Deutsche, Polen, 05.11.) und der sog. „Hoßbach-Niederschrift“ vom 10.11.1937 – einem inoffiziellen Schlüsseldokument, das die „Lösung der deutschen Frage – nur mit Gewalt“ der Nachwelt überliefert (hier S. 748 f) sei auf Hans-Adolf Jacobsen, 1959, S. 83 f. verwiesen. Hitler machte 1937 erneut deutlich, dass er die Machtfülle für sich und die NSDAP in einem „unbedingten Gehorsam“ die „äußeren Lebensrechte“ einfordere: bei der Einweihung der (3.) Ordensburg (Sonthofen) wählte Hitler die deutsche Geschichte als Operationsfeld, indem er die Ausgestaltung des „Germanischen Reichs Deutscher Nation“ als neue Staatsgründung verkündete (23.11.) – begründet „nicht im Christentum, sondern in der geschlossenen Volksgemeinschaft des reichsten Volks Europas, dessen Recht in der Macht liegt“. Seinen Führungsanspruch präzisiert Hitler für die NSDAP auch individuell: „Wir allein sind befugt, das Volk als solches, den einzelnen Mann, die einzelne Frau zu führen. Die Lebensbeziehungen der Geschlechter regeln wir. Das Kind bilden wir!“ Religionstoleranz gilt für Hitler nur soweit, als Kirchen im blinden Gehorsam gegenüber ihm dienen. Dass am 11.12.1937 Italien seinen Austritt aus dem Völkerbund erklärt, nutzt Hitler zu einer schonungslosen Abrechnung mit diesem. Das Scheitern des Völkerbunds beruhe auf „radikalen Fehlern der Konstruktion“, nur Moskau bekenne sich noch zu den „Genfer Idealen“. Nach dem Austritt Deutschlands, Japans und Italiens finden sich damit die Antikomintern-Mächte in trauter Runde, bereit, ihr Militär auf das Folgejahr einzustimmen. Hitlers Rede vor „Alten Kämpfern“ (Löwenbräukeller, 24.11.) wird ergänzt durch den Schlussappell an die Wehrmacht „in der Gewißheit, daß sie auch in Zukunft ihre Pflicht tun [werde]“. Die Hitler-Dokumente für 1938 belegen, dass es als ein „Jahr der Aktion und des Vorwärtsdringens“ in die Geschichte eingehen sollte. Personelle Veränderungen im Außenministerium und die Ablösung der Spitze des Militärs (von Blomberg, von Fritsch) dokumentieren, dass ein schärferer Kurs angesagt sei; das Münchner Abkommen und seine Folgen belegt das Scheitern der „Appeasement-Politik“, der „Anschluß“ Österreichs zeigt, wie Schuschniggs „Vaterländische Front“ zusammenbricht. Eine deutsch-britische Nichtangriffserklärung sollte sich bald als Makulatur erweisen, am 21.10.1938 ergeht die Weisung, eine militärische Erledigung der „Resttschechei“ vorzubereiten. Innenpolitisch erreicht die Judenverfolgung durch die Nationalsozialisten in der Reichspogromnacht („Reichskristallnacht“) am 09.11. einen Höhepunkt, tags darauf wird die gleichgeschaltete deutsche Presse dazu vergattert, die Deutschen auf den Krieg vorzubereiten, ihnen einen „fanatischen Glauben an den Endsieg“ beizubringen und sie gegen „Friedenspropaganda immun [zu] machen“.Gelegenheiten für „Volksreden“ gab es für Hitler auf dem Wiener Heldenplatz, im Sudetenland, nach Volksabstimmungen – weniger im „Altreich“. Mit der Verleihung des „Adlerschildes“ für den „Deutschen Dichter“ an Erwin Guido Kolbenheyer (geb. 1878 in Budapest – gest. 1962 in München) endet für Hitler das Jahr 1938. Innenpolitisch war die NS-Führer-Diktatur gefestigt, außenpolitisch waren die Nachbarn düpiert, domestiziert oder zumindest (noch) nicht bereit, gegen offenkundige „Grenzüberschreitungen“, sprich militärische Expansionen einzuschreiten. Die Schlussgedanken der Dokumentation sind Überlegungen gewidmet, wie sich Hitlers Aufstieg vom „gewöhnlichen Frontsoldaten“ des 1. Weltkriegs zum Obersten Befehlshaber der Wehrmacht darstellt. Der Beitrag ist eine Lektion über die innere Struktur der Führungseliten aus Kaiserreich und Wehrmacht, über Konstellationen, die „blinden militärischen Gehorsam“ förderten, über das Militär als Mittel zum politischen Zweck („Überwindung der Folgen aus Versailles“) sowie die Vorstellung, deutsche Generäle folgten grundsätzlich einem legalen Regime, auch wenn es ihnen „verhasst“ ist. Aber: kein General hat Hitler offen den Gehorsam aufgekündigt, nur Generaloberst Ludwig Beck (*1880 – erm. 20.07.1944) trat 1938 zurück.

Didaktische Hinweise

"Das Buch ist das Standardwerk für Hitler, da man ihn, abgesehen von seinen Taten, am besten dort erfasst und versteht, wo er selbst seine Hauptstärke sah: in den demagogischen Reden“ – so Karl Bosl, der wie zahlreiche andere Historiker Max Domarus nach Erscheinen seines Riesenwerkes einst in die vorderste Reihe der Zeithistoriker stellte. Naturgemäß hat die Edition mittlerweile Patina angelegt, da die zeithistorische Forschung zumal mit Blick auf die NS-Diktatur in den letzten Jahrzehnten doch erhebliche Fortschritte gemacht hat, wie u. a. die Publikationen des Instituts für Zeitgeschichte in München zeigen, das 1991 – 2000 bei De Gruyter Saur die sechsbändige Edition „Hitler. Reden, Schriften, Anordnungen. Februar 1925 - Januar 1933“ veröffentlichte. Da die Fortsetzung der Edition aber noch einige Jahre auf sich warten lassen wird, wird man bis dahin gerne auf den „Domarus“ zurückgreifen, der für den Geschichtsunterricht der Oberstufe als Materialfundus sicherlich noch immer gute Dienste leisten kann.

Gattung

  • Sachbücher

Sachbuchkategorie

  • Geschichte, Archäologie

Eignung

für die Schulbibliothek empfohlen

Altersempfehlung

Jgst. 10 bis 13

Fächer

  • Geschichte
  • Sozialkunde/Politik und Gesellschaft

Erscheinungsjahr

2009 (4. Aufl. 1988)

ISBN

9780865163294

Umfang

2.324 Seiten

Medien

  • Buch