Hermann Hesse: Unterm Rad

Besprechung

Hans Giebenrath wird kaum Freiraum für eine individuelle Entwicklung – oder gar für Freizeit – gelassen: Damit er das “Landexamen” besteht, mit dem die Begabtesten einen freien Studienplatz im Maulbronner Kloster erhalten können, wird er auch in den Sommerferien ohne Rücksicht gedrillt. Um den Preis gesundheitlicher Beeinträchtigung legt er die Prüfung als Zweitbester des Landes ab. Im Kloster befreundet er sich gegen den Willen der Lehrer mit Hermann Heilner, einer spiegelbildlichen Kontrastfigur Giebenraths: Der fantasievolle, frühreife Heilner begehrt gegen die auf steriles Auswendiglernen und Anpassung ausgerichtete Klosterzucht auf (“... was geht uns eigentlich das alte griechische Zeug an? Wenn einer von uns einmal probieren wollte, ein bisschen griechisch zu leben, so würde er rausgeschmissen.”). Er wird zuletzt – ebenso wie einst der fünfzehnjährige Hermann Hesse – aus dem Kloster fliehen. Hans Giebenrath aber, in dem der angehende Dichter Heilner den Traum vom wahren Leben geweckt hat, versagt bald im Studienseminar völlig und muss nervlich zerrüttet nach Hause zurückkehren, wo ihn sein Vater in eine Mechanikerlehre steckt. Im rohen Milieu von Saufkumpanen findet er jedoch nur zu einer scheinbaren und vorübergehenden Lebensfreude und wird, am Ende ernüchtert, in den Selbstmord getrieben. Aus bitteren autobiographischen Erfahrungen heraus hat Hesse ein Verdammungsurteil der Schule seiner Zeit geschrieben, die sich zum Ziel setzte, nicht schöpferische Menschen zu erziehen, sondern „gute Lateiner, Rechner und Biedermänner“.