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Neal Shusterman, Brendan Shusterman (Illustr.): Kompass ohne Norden

Besprechung

Der tiefste Punkt der Weltmeere „Challenger Deep“ liegt ungefähr 11.000 Meter unter der Wasseroberfläche des Marianengrabens. Unter dem Titel „Challenger Deep“ erschien auch Neal und Brendan Shustermans Roman „Kompass ohne Norden“ erstmals. Alles andere als oberflächlich ist die Herausforderung, der sich Neal Shusterman zusammen mit seinem Sohn in ihrem Buch stellen. Caden, der 15-jährige Held des Romans, kämpft mit den Abgründen seiner Seele. Was zunächst als Träume und Fantasien, die später auch zur Bedrohung werden, beschrieben wird, stellt sich als psychische Erkrankung heraus – Schizophrenie. Caden Bosch erzählt seine Geschichte auf zwei Erzählebenen. Anfangs steht die reale Welt mit all ihren Alltäglichkeiten in Familie und Schule, der irrealen Gedankenwelt des Jungen gegenüber. Sprachlich kunstvoll werden folgend Realität und Irrealität des Unterbewusstseins des Jungen, schrittweise miteinander verknüpft. Der Unterschied zwischen wirren Fantastereien und Wirklichkeit verschwimmt zunehmend. Cadens Verstand kämpft zwischen Wahrheit und Wahn. Die psychische Erkrankung schreitet fort. Und führt ihn in eine Klinik, in der sich in einer langwierigen Behandlung seine Gedanken schließlich zusehends klären.

„Kompass ohne Norden“ ist kein fiktiver Roman, wie Neal Shusterman bereits auf der ersten Seite des Buches erklärt. Denn sein Sohn ist selbst psychisch erkrankt. Brendan, mit dem er zusammen dieses Buch erarbeitet hat, konnte mithilfe der Psychatrie geholfen werden. Es ist ein ambitioniertes Vorhaben, sich psychologischen Krankheiten in einem Jugendbuch zu nähern. Der Autor mutet den jungen Leserinnen und Lesern Schizophrenie, bipolare Störungen sowie Zwangsstörungen als Diagnosen zu, und nimmt sie mit, zu erfahren, wie sich das Krankheitsbild bei Caden entwickelt, wie die Familie dies erlebt und vor allem auch, welche therapeutischen Möglichkeiten die Psychatrie heute anbieten und anwenden kann.

Sprachlich versiert arbeitet Neal Shusterman mit zahlreichen Wortspielen und Analogien aus den Unter-Wasserwelten in Jules Vernes 20.000 Meilen unter dem Meer oder Herman Melvilles Moby Dick. Leitmotive wie die Jagd und Flucht vor Ungeheuern und Bestien greift er immer wieder auf. Gerade die Übersetzung der Wortspiele spiegelt auch die sprachliche Herausforderung und Leistung von Ingo Herzke wider. Die Orientierungslosigkeit, die einen Taucher bei jedem Tauchgang in der Tiefsee umgibt, umschreibt – wie ein Kompass ohne Norden – die Abgründe der psychischen Erkrankung. So fährt Caden in seinen Fantasien als Seemann auf einem altertümlichen Segelschiff mit einer seltsamen Besatzung. Die Mission der Schiffsreise bleibt unklar. Die Crew bleibt misstrauisch. Die Tiefe zieht unermüdlich an Cadens Verstand und hinterlässt panische Albträume. Die Zeichnungen im Buch, die Brendan in Akutphasen seiner Krankheit malte, verdeutlichen deren Ausmaß noch einmal mehr.

Didaktische Hinweise

Dieser All-Age Roman ist in mehrfacher Hinsicht empfehlenswert. Der Reiz, sich psychischen Erkrankungen in ihrer Komplexität in erzählender Form zu nähern, ist einer. Anders als ein wissenschaftliches Fachbuch schafft es Neal Shusterman, sich im Roman sowohl erzählend den psychischen Untiefen anzunähern und Empathie zu erzeugen, als auch die therapeutischen Möglichkeiten der Psychatrie aufzuzeigen.

Die Thematik trifft den Zeitgeist. Was auch die Nominierung und Auszeichnung der Jugendjury für „Kompass ohne Norden“ mit dem Kinder- und Jugendliteraturpreis 2019 bestätigt. Unter der Rubrik „Preisverdächtig!“ – Praxistipps bietet der Arbeitskreis für Kinder- und Jugendliteratur Materialien zum Herunterladen an. Darin wird auf den Buchtrailer zur englischen Originalausgabe verwiesen.

Auch der dtv Verlag hält ein Unterrichtsmodell für die 9. und 10. Jahrgangsstufe zum Download bereit.

  • Der persönliche Bezug des Autors zur Thematik bildet den Rahmen des Romans. Weshalb die antizipierende Bearbeitung des Vorworts und abschließend die Auseinandersetzung mit dem Nachwort unbedingt im Kontext des Literaturunterrichts zu platzieren ist.
  • Das fachliche Interesse an psychischen Erkrankungen wird durch die Lektüre intrinsisch motiviert. Arbeitsteiliges Recherchieren bietet sich zum Beispiel unter folgenden Themenschwerpunkten an: Formen und Symptome von psychischen Erkrankungen, Statistiken zur Anzahl von betroffenen Jugendlichen, Ursachen für psychische Erkrankungen bei Jugendlichen, Therapiemöglichkeiten und Grenzen, Unterstützende Strukturen für Angehörige von Betroffen und die Biografie zum Autor und dessen Sohn.
  • Überlegenswert erscheint die Frage: Was kann ein Jugendbuch im Zusammenhang zur Thematik komplexer psychischer Erkrankungen leisten und was eher nicht?

Gattung

  • All Age
  • Romane

Eignung

als Klassenlektüre geeignet und zum Vorlesen

Altersempfehlung

Jgst. 9 bis 12

Fächer

  • Deutsch
  • Ethik/Religionslehre (Evang. Religionslehre
  • Gesundheitserziehung
  • Philosophie
  • Psychologie

FÜZ

  • Sprachliche Bildung
  • Werteerziehung
  • Soziales Lernen
  • Gesundheitsförderung

Erscheinungsjahr

2018

ISBN

9783446260467

Umfang

346 Seiten

Medien

  • Buch
  • E-Book