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Emine Sevgi Özdamar: Ein von Schatten begrenzter Raum

Besprechung

In der Pause der Hölle – Emine Sevgi Özdamars wundervoller Roman über Europas Literatur und Kultur zwischen den Kriegen

Immer wieder betont Emine Sevgi Özdamar, dass die „Hölle eine Pause machte“, das heißt, dass in den siebziger und achtziger Jahren, die im Zentrum von Özdamars Roman stehen, zumindest in Westeuropa weder Kriege noch andere vom Menschen angerichtete Katastrophen das Leben verheerten.

Die Ich-Figur, deren Leben an das Özdamars angelehnt ist, flieht 1975 vor dem brutalen Militärregime in der Türkei und arbeitet als Schauspielerin, Bühnenbildnerin und Regisseurin – in prekären Verhältnissen lebend – in ständiger Angst vor Ausweisung und immer wieder vom Heimweh gebeutelt zuerst in Frankreich, dann in Deutschland. Sie inszeniert mit Benno Besson, später mit Matthias Langhoff, Heiner Müller, Claus Peymann und Peter Zadek unter anderem Stücke von Brecht, Goethe, Kleist und Büchner. Eine hochgebildete Gruppe von jungen und älteren Menschen lebt in dieser Zeit vor, wie ein gemeinsames Leben über alle kulturellen, religiösen und sprachlichen Grenzen hinweg aussehen könnte. Für einen kurzen Moment in der Geschichte, in einem von Schatten begrenzten Raum, scheint die Verwirklichung von Frieden und Freiheit, der unzensierte Kampf für ein sozial gerechtes und freies Leben möglich.

Allerdings spürt die Ich-Figur auch in dieser Zeit, dass die Hölle stets vorhanden ist, vor allem wenn sie mit ihren Eltern in der Türkei telefoniert und das Flappen der Hubschrauber und der Polizeisirenen durch das Telefon hört – Zeichen dafür, dass das türkische Militär Jagd auf junge Menschen macht und sie auf offener Straße erschießt. Auch begleiten die Ich-Erzählerin stets Krähen, Todesvögel, mit denen sie sich unterhält, denen sie Rechenschaft abgibt und mit denen sie über ihre Erlebnisse, ihre Gefühle und ihre Bücher spricht.  

Aber die Hölle kehrt nach Europa zurück: religiöse Fanatiker, Terroranschläge, Verfolgung von Minderheiten, Überfälle auf Flüchtlinge – auch die Erzählerin wird sowohl von ultranationalistischen Türken als auch von PKK-Anhängern bedroht. Die Krähen bedauern, dass die Erzählerin keine Flügel hat, um wegzufliegen, sehen jedoch ihre Romane als mögliches Versteck: die Literatur ist der einzige Weg, die Hölle auszuhalten. Am Ende des ihres Romans stellt Özdamar fest: „Wenn die Wörter einer Sprache krank werden, kann man sie mit den Wörtern einer anderen Sprache heilen.“

Didaktische Hinweise

Für junge Menschen ist dieser große Roman sicherlich eine Herausforderung, aber mit ihm können nicht nur Literatur und Kultur von den siebziger Jahren bis zur Gegenwart anschaulich nachvollzogen werden, sondern auch die historischen Ereignisse und Katastrophen dieses Zeitraums. Özdamars Werk ist eine Art Kaleidoskop der gegenwärtigen und vergangenen Literatur, der Theaterwelt und ihrer berühmten Repräsentanten. Es zeigt den kulturellen Reichtum Europas und veranschaulicht die existentielle Bedeutung von Sprache und Literatur.

Eine schöne, kurze Einführung in den Roman bietet der Podcast „Lesestoff – neue Bücher“ des WDR, der Schülerinnen und Schüler neugierig auf Özdamars Werk machen kann, da er auch auf den Lebensweg der Autorin und auf ihre übrigen Bücher eingeht. Sehr ausführlich ist die Sendung „Auf dem blauen Sofa“ des ZDF, in der die Schriftstellerin interviewt wird und über ihre Erfahrungen und ihr Buch spricht. Der Suhrkamp Verlag hält auf seiner Website eine kurze Biographie der Schriftstellerin und eine Leseprobe aus dem Roman bereit.

Gattung

  • Romane

Eignung

als Klassenlektüre geeignet und zum Vorlesen

Altersempfehlung

Jgst. 11 bis 13

Fächer

  • Deutsch
  • Interkulturelle Erziehung
  • Sozialkunde/Politik und Gesellschaft

FÜZ

  • Interkulturelle Bildung
  • Kulturelle Bildung
  • Politische Bildung
  • Soziales Lernen
  • Sprachliche Bildung
  • Werteerziehung

Erscheinungsjahr

2021

ISBN

9783518430088

Umfang

763 Seiten

Medien

  • Buch
  • E-Book