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Kemal Yalçin: Als mein Opa nach Deutschland kam

Besprechung

Türkische Kinder, die in Deutschland zur Schule gehen, haben 22 Erlebnisse aufgeschrieben, die ihnen ihre Großeltern und Eltern erzählt haben. Dabei geht es oft um Missverständnisse, die durch Unkenntnis der Sprache des jeweils anderen entstehen. So wunderte sich Ahmets Großvater auf seiner ersten Fahrt zur Fabrik, als der Schaffner „Ein Moment“ sagte, woher dieser seinen Namen wusste, nämlich „Ayi Memet“. Büsra beschreibt, wie ihre Großmutter sich nicht mit dem Briefträger verständigen konnte, weil sie Deutsch weder lesen noch schreiben konnte, und wie sie traurig und ärgerlich zugleich darüber war. Aylins Großmutter wollte Eier kaufen und konnte der Verkäuferin nur klar machen, was sie wollte, indem sie zu gackern anfing. Mehmets Großvater konnte nach einem Auffahrunfall nur „Gut Kollege, gut!“ sagen, was der deutsche Unfallgegner mit „Scheiße Kollege, Scheiße!“ quittierte. Die Geschichte ging aber noch gut aus. Hatices Vater wollte als Erwachsener Fahrrad fahren lernen und übte im Park. Sein Vermieter kam vorbei, stieg auf das Rad, fuhr ein kurzes Stück verkehrt herum und ging lachend davon, wodurch sich Hatices Vater schwer beleidigt fühlte. Muhammeds Vater kam mit 15 Jahren nach Deutschland und musste arbeiten. Er wäre gerne zur Schule gegangen und hätte studiert, hatte aber niemanden, der ihn versorgt hätte. Das seltsamste Ereignis für Büraks Familie ist, dass sie es nicht geschafft haben, in die Türkei zurückzukehren. Ugurs Mutter musste, als sie erst kurz in Deutschland war, ins Krankenhaus. Ihre Zimmergenossin, eine alte Frau, brachte ihr in zwei Wochen soviel Deutsch bei, dass sie damit zurechtkommen konnte. Mahils Großvater musste mit drei anderen Männern im Zimmer in einem Arbeiterwohnheim leben. Einer der Männer war Epileptiker und bekam einen Anfall. Weil es keinen Arzt in dem Heim gab und sie nicht wussten, wie sie einen rufen hätten können, starb der Mann. Als der Ehemann von Frau Fischer gestorben war, wollte Yasars Vater ihr „herzliches Beileid“ wünschen, sagte aber „Gott sei Dank!“; erst viel später verstand er, was er tatsächlich gesagt hatte. Bilals Familie wäre im Winter in der Türkei, auf der Rückfahrt aus dem Urlaub, mit dem Auto beinahe in einen Abgrund gestürzt. Ein hilfsbereiter LKW-Fahrer half ihnen. Nermins Großvater wollte einen Stecker kaufen, was auf türkisch „fis“ [fisch] heißt. Die Verkäuferin führte ihn zur Fischtheke und er musste ohne Stecker nach Hause gehen. Ayten kam mit ihrer Familie als kleines Kind aus Aserbeidschan nach Deutschland und konnte, da sie in den Kindergarten ging, schneller Deutsch als ihre Mutter. Beim Einkaufen trafen sie ihre Kindergartenfreunde, die in der Spielecke ein Bild mit einem Schweinchen anmalten. Die Mutter sagte: „Schwein essen, Schwein malen!“ Die deutschen Mütter glaubten, sie hätte ihre Kinder beschimpft; eine russisch sprechende Verkäuferin konnte die Situation klären. Die Oma von Eriz wollte Salz kaufen, fand aber . Sie machte vor, wie man das Salz auf die Hand streut und ableckt, aber die Verkäuferin dachte, sie wolle ein Eis. Die Großmutter musste ohne Salz heimgehen. Onkel Sari, ein Kollege von Deniz’ Vater, antwortete nur mit „Jawohl!“, „Ach so!“ oder „Danke schön!“, wenn er angesprochen wurde, ohne zu verstehen, was der andere sagte. Auf diese Weise verärgerte er den Vorarbeiter. Esmas Großvater wurde mit den anderen neuen Arbeitern von seinem Chef in ein Restaurant eingeladen. Er hielt die Papierserviette für ein Taschentuch. Ein andermal wollte er Fleisch kaufen. Der Metzger machte ihm die Tiere vor, von denen das Fleisch stammte, und er kaufte das von dem Tier, bei dem er „Muh“ gehört hatte. Korays Großvater verließ die Wohnungsvermittlung erbost und traurig, nachdem er verstanden hatte: „Für Mohammedaner haben wir keine Wohnung.“ Der Sachbearbeiter hatte aber gesagt: „Momentan haben wir keine Wohnung.“ Mit der Hilfe des Dolmetschers aus der Fabrik kann das Missverständnis aufgeklärt werden. Bülents Großvater wollte ein Opferschaf in der Straßenbahn mitnehmen, doch der Schaffner ließ ihn nicht hinein. Er sah, wie eine deutsche Frau mit einem Hund einstieg und fragte erbost: „Warum Wauwau ja, Mähmäh nein?“, worüber seine Enkelin Tränen lachen konnte, als er ihr die Geschichte erzählte. Perims Großvater ging mit seinen Freunden zum Einkaufen. Sie wollten Eier, fanden aber keine. Da tat einer der Freunde, ein Spaßvogel, so, als ob er aus seinem Hut Eier zaubern könnte. Die Verkäuferin verstand ihn nicht, aber andere Kunden warfen Geld in seinen Hut, worüber die türkischen Männer lachen mussten. Der Großvater machte schließlich „tuk, tuk“, und sie bekamen die Eier. Taners Vater, der in der Türkei als Lehrer tätig war, wollte einen Deutschkurs besuchen, konnte ihn aber nicht bezahlen. Der Kursleiter ließ ihn umsonst teilnehmen und ermöglichte ihm so den Universitätsbesuch und die erneute Ausbildung zum Lehrer. Osmans Vater war Schuster in der Türkei. Als er wegen der Schuhe aus der Fabrik sein Geschäft schließen musste, arbeitete er auf einem Tomatenfeld. Als er seine Einreiseerlaubnis nach Deutschland bekam, wollte er vom Tomatenbauern Geld für seine Arbeit. Als dieser sich weigerte, schnitt er in der Nacht vor seiner Abreise alle Tomatenpflanzen an der Wurzel ab. Seinem Enkel sagt er, wenn er damals seinen heutigen Verstand gehabt hätte, hätte er das nicht gemacht. Mehmets Großvater erhält im Krankenhaus für sein Knie elastische Verbände. Da sie ihm zu eng sind, nimmt er sie ab und möchte der Schwester erklären, dass er neue, weitere, möchte und sie auch bezahlen will. Aber er sagt: „Ja ja! Ich verkaufe das!“ Erst ein türkischer Arzt kann ihm helfen und die Situation klären. Durch die hier versammelten Geschichten der Kinder erhält man einen sehr unmittelbaren und unverstellten Einblick in das Leben und die Gefühlslage der Einwanderer. Viele erwähnen als Grund für die Ausreise ihrer Großeltern oder Eltern aus der Türkei die Flucht vor der Armut. Sie erzählen auch von der Trennung der Familien, dem Zurückbleiben und Nachholen, der Vorläufigkeit der Jahre in Deutschland. Aus den Erfahrungen ihrer ersten Jahre heraus betonen die Eltern oder Großeltern, wie wichtig es ist, die deutsche Sprache zu lernen. Angeregt zu den Aufsätzen wurden die Schüler von ihrem türkischen Lehrer im muttersprachlichen Unterricht. Jeder Aufsatz ist sowohl in türkischer als auch in deutscher Sprache abgedruckt und wird von einem selbstgemalten, ganzseitigen Bild ergänzt.

Didaktische Hinweise

Für Kinder mit Migrationshintergrund können diese Geschichten Anregung sein, sich mit der eigenen Herkunft und kulturellen Identität auseinanderzusetzen und in ihren eigenen Familien ähnliche Erfahrungen nachzufragen. Für deutsche Kinder bedeuten sie einen Erkenntnis- und Verständniszuwachs. Es ist deshalb sehr zu empfehlen, das Buch im Unterricht zu verwenden.

Gattung

  • Romane

Eignung

in Auszügen geeignet

Altersempfehlung

Jgst. 3 bis 5

Fächer

  • Deutsch
  • Ethik/Religionslehre (Evang. Religionslehre
  • Interkulturelle Erziehung
  • Sonstige Sprachen

Erscheinungsjahr

2006

ISBN

9783933348870

Umfang

49 Seiten

Medien

  • Buch