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Gianni Kuhn: Calais-Dover. Geschichten aus Frankreich

Besprechung

Die Kurzgeschichten sind alle in Frankreich angesiedelt, sie erfüllen die textsortenspezifische Forderung des Genres nach Überschaubarkeit und einem unerwarteten Ende, nicht jedoch nach einem kühl-distanzierten Ton oder dem Verzicht auf eingehendere Charakterisierung der Personen. Oft geht es in diesen Geschichten um Schein und Sein, etwa in „La Montagne Sainte-Victoire“ um das äußerlich perfekt selbstbestimmt-ästhetische Leben vor dem Hintergrund des Todes oder in „Alles vergessen“ um innere Qual und Angst vor dem vordergründigen Ausspannen und Erholen. Gegenwartsbeobachtungen und die Vergangenheit des Krieges spielen in die Geschichten hinein, Verweise auf Künstler sind zu finden, die landschaftliche Verortung ist eindeutig und teilweise ansprechend, manche Geschichten haben einen kriminalistischen Aspekt. Ganz ohne Pathos und gefühlige Effekte kommen die Texte nicht aus.

Didaktische Hinweise

Durch die Kürze, die erzählerische Dichte und Vielfalt der Motive ausgezeichnet empfehlen sich die Geschichten dem Lehrer, der auf der Suche nach „unverbrauchten“ poetischen Kurztexten für die Oberstufe ist, unbedingt.

Im Folgenden ein Besprechungsvorschlag für Gianni Kuhns „Der Falkner von Brest“:Erschließen und interpretieren Sie den Text mit Hilfe folgender Aufgaben und Fragen. 1. Informieren Sie sich vor der Lektüre des Textes über Brieftauben und ein Denkmal für gefallene Brieftauben in Frankreich. de.wikipedia.org/wiki/Taubenpost statues-monuments-npdc.pagesperso-orange.fr/au%20pigeon%20voyageur%20page%2021.htm 2. Geben Sie den Inhalt des Textes wieder. 3. Beschreiben Sie den Aufbau des Textes (vier Abschnitte). 4. Worüber zeigt sich der Sohn schockiert? Zu Recht? 5. Was verbindet Vater und Sohn, was trennt sie? 6. Zeigt die Geschichte einen Fortschritt insofern, als Tiere heute nicht mehr in dieser unmenschlichen Form beseitigt werden? 7. Sind die beiden letzten Sätze in der Geschichte nötig oder wird hier etwas zu dick aufgetragen? 8. Welche Merkmale der klassischen Kurzgeschichte fehlen hier, welche sind erkennbar? Lösung: Eine Interpretation von Gianni Kuhn: Der Falkner von Brest. In: Ders.: Calais-Dover. Geschichten aus Frankreich. Edition Isele 2012. S. 84-87. Geben Sie den Inhalt des Textes wieder. Der Text ist in personaler Perspektive verfasst, erzählt wird aus Sicht des Biologen Claude. Er hat das Verhalten von Weißstörchen untersucht und herausgefunden, dass deren stetige Dezimierung damit zusammenhängt, dass sie auf ihrem Flug in den Süden auf Müllplätzen in Andalusien durch Hochspannungsleitungen zu Tode kommen. Nach dem Hinweis auf diese Tätigkeit berichtet der Erzähler, wie Claude das Denkmal für die im Ersten Weltkrieg gefallenen Brieftauben Frankreichs „AU PIGEON VOYAGEUR“ in Lille besucht, was ihn tief beeindruckt. Dies wird für ihn zum Anlass, sich an seinen Vater zu erinnern, der in Brest im Altenheim lebt. Der Vater hatte als Falkner im Zweiten Weltkrieg deutsche Brieftauben abgefangen, eine Tätigkeit, die Claude immer verabscheut hat. Bei einem Spaziergang mit dem Vater nach Claudes Rückkehr aus Lille äußern sich Passanten bewundernd über den alten Mann als Kriegshelden, er sei der „legendäre Falkner von Brest“. Claudes Einstellung dazu bleibt zwiespältig. Beschreiben Sie den Aufbau des Textes. Vier Abschnitte Claudes Tätigkeit als Biologe (Erzählbericht, zeitraffend) Bericht über den Besuch des Denkmals für die im Ersten Weltkrieg gefallenen Brieftauben Frankreichs „AU PIGEON VOYAGEUR“ in Lille (Erzählbericht, zeitraffend, zeitdeckend) Rückfahrt nach Brest mit Reflexionen über den Vater (Erzählbericht, zeitraffend) Spaziergang mit dem Vater (Erzählbericht, knappes szenisches Erzählen, zeitraffend, zeitdeckend) Was verbindet Vater und Sohn, was trennt sie? verbindend: Beschäftigung mit Vögeln als Beruf großer Einsatz Erfolg, herausragende Kenntnisse Liebe zur Technik (Autos) trennend: Vater: nimmt aus Patriotismus/Widerstand gegen die Nazis Töten der Tiere in Kauf, um Land zu befreien, hat großes Ziel erreicht Sohn: handelt ganz im Sinn seines Berufsethos, erzielt aber nur kleine Erfolge Worüber zeigt sich der Sohn schockiert? Zu Recht? Der Vater macht sich kein Gewissen aus dem Tod der feindlichen Brieftauben, obwohl Tiere in diesem Sinn ja völlig unschuldig sind. Der Sohn kann das nicht akzeptieren, er lebt allerdings in anderen Zeiten. Zeigt die Geschichte einen Fortschritt insofern, als Tiere heute nicht mehr in dieser unmenschlichen Form beseitigt werden? Nur begrenzt, das Abschlachten der Brieftauben ist zwar Geschichte, aber auch die Weißstörche sind letztlich Opfer menschlichen Verhaltens (Mülldeponien, Umweltzerstörung). Sind die beiden letzten Sätze in der Geschichte nötig oder wird hier etwas zu dick aufgetragen? Ja, ansonsten könnte man denken, die Bedenken des Sohns seien damit relativiert. Nein, ohne diese Sätze wäre die Kompliziertheit der Angelegenheit deutlicher. Welche Merkmale der klassischen Kurzgeschichte fehlen hier, welche sind erkennbar? fehlend: unvermittelter Einstieg,Typisierung der Figuren vorhanden: Knappheit, entscheidender Lebensausschnitt (die beiden Seiten des Vaters), auf das Ende hin erzählt, unvermutete Wendung am Schluss

Gattung

  • Kurzprosa, Erzählungen, Textsammlungen, Tagebücher

Eignung

als Klassenlektüre geeignet

Altersempfehlung

Jgst. 10 bis 13

Fächer

  • Deutsch

Erscheinungsjahr

2012

ISBN

9783861425557

Umfang

91 Seiten

Medien

  • Buch