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Johano Strasser: Die schönste Zeit des Lebens

Besprechung

Der 18-jährige Robert arbeitet als Zivi bei einer ambulanten Altenpflege. Sein Vater Egon kommt mit seinem Leben nicht mehr zurecht, seit er gesundheitsbedingt in den Frühruhestand gehen musste. Nicht zuletzt deswegen haben seine Eltern Beziehungsprobleme. Robert kann mit beiden nicht reden; die Kommunikation ist gestört und das in einer Phase, in der klärende und Orientierung gebende Gespräche zwischen dem Jugendlichen und seinen Eltern dringend nötig wären: die Phase der Adoleszenz. Die Loslösung von den Eltern will Robert nicht so recht gelingen, was sicherlich damit zusammenhängt, dass er sich selbst noch nicht gefunden hat. Er hat noch kaum eine Vorstellung davon, wie sein eigenes Leben einmal aussehen soll, auch nicht was die nahe Zukunft anbelangt. Selbst sein Studien- bzw. Berufswunsch ist unklar. Den einzigen Anker in dieser prekären Lebenssituation findet Robert in den Stunden, in denen er einer von ihm zu betreuenden Seniorin, Frau Sternheim, aus literarischen Werken vorliest, da die belesene und lebenskluge Jüdin wegen ihrer zunehmenden Sehschwäche nicht mehr selber lesen kann. Zunächst geht es bei Frau Sternheim um eine Liebesgeschichte aus Tausendundeiner Nacht, später liest Robert auch Gedichte von Rilke und Hofmannsthal oder auch den „Taugenichts“ von Eichendorff. Frau Sternheim versucht ihm dabei über die Literatur einen Weg zu sich selbst aufzuzeigen. Ihr Ratschlag lautet: „Gehen Sie der Angst nicht aus dem Weg“ (S. 139). Oder wie es Rilke in seiner ersten der Duineser Elegien ausdrückt: „Das Schöne ist nichts / als des Schrecklichen Anfang“ (S. 138).Die Beschäftigung mit der Literatur hilft Robert nach und nach eine für seine Entwicklung hilfreiche Distanz zu seinen Eltern aufzubauen, insbesondere zu seinem Vater. Im Kontrast zur Sprache der Bücher, einer Sprache, welche „viel freier“ ist, „voller nachdenklich machender Möglichkeiten, voller überraschender Wendungen ins Offene“ (S. 122), wird ihm immer stärker bewusst, wie gestört die Kommunikation zwischen ihm und seinem Vater ist. In seiner Stammkneipe lernt Robert schließlich Fari kennen und verliebt sich in sie; sie werden ein Paar. Zunächst sieht es so aus, als ob Robert durch Fari selbstsicherer würde. In Ansätzen fängt er an, gegenüber seinen Eltern aufzubegehren, obwohl sie das gar nicht einfordert. Aber schließlich lässt seine immer noch vorhandene Orientierungslosigkeit die Beziehung scheitern. Roberts weiterer Lebensweg bleibt offen. Was Strasser hier schreibt ist nicht neu. Ganz im Gegenteil, so oder so ähnlich erleben wohl viele Jugendliche die Zeit der Ablösung von den Eltern. Und genau hierin liegt die Stärke des Jugendromans: Er konfrontiert den jugendlichen Leser mit der entwicklungspsychologischen Situation der Adoleszenz und gibt ihm in einem Punkt Sicherheit, indem er ihm deutlich macht: Was du gerade durchlebst, ist ganz normal!

Didaktische Hinweise

Vor allem wegen seines engen Bezugs zur Lebenswelt und der entwicklungspsychologischen Situation von Jugendlichen und jungen Erwachsenen (Erwachsenwerden, Selbstfindung, Ablöseprozess, jugendlicher Gruppenzwang bzw. Einflüsse der Peergroup) bietet der Romane zahlreiche Anknüpfungspunkte für eine Gewinn bringende Lektüre als Ganzschrift im Unterricht. Die im Romane von Robert vorgelesenen Bücher ebnen zahlreiche Wege in die Literaturgeschichte, regen zur selbstständigen Lektüre an und lassen im Klassenverband das Thema „Literatur und Identitätsfindung“ diskutieren. Unterrichtsgespräche über die Freundschaft Roberts mit einem Mädchen aus einer Familie mit Migrationshintergrund unterstützen die interkulturelle Erziehung und tragen zur Überwindung von Vorurteilen bei. Das Verhalten von Roberts Eltern und der im Buch dargestellten alten Menschen stellen weitere interessante unterrichtliche Arbeitsfelder dar. Auch die sprachliche Untersuchung sowie eine Analyse der erzähltechnischen Mittel des Romanes lohnen sich, lässt sich doch bei der gemeinsamen Lektüre ein interessanter Perspektivenwechsel innerhalb eines durchgehend personalen Erzählverhaltens feststellen. Schließlich stellt sich dem Leser die Frage: Warum ist es im Romane eine Jüdin, Frau Sternheim, die der Verfasser als durchweg sympathische Zentralfigur entwirft, die Robert den Weg in ein selbstbestimmtes Leben weist und ihm nach ihrem Tod ihre Bücher und Wohnung vermacht. Johano Strasser ist Vorsitzender des PEN-Clubs Deutschland. Auch deswegen ist ein Kennenlernen des Autors über die Lektüre des vorliegenden Buches hinaus sehr zu empfehlen, z. B. innerhalb einer Autorenlesung, die sein Verlag gerne vermittelt. Zu weiteren Büchern des Autors siehe u. a. Perlentaucher.

Gattung

  • Romane

Eignung

sehr gut als Klassenlektüre geeignet

Altersempfehlung

Jgst. 10 bis 13

Fächer

  • Deutsch
  • Ethik/Religionslehre (Evang. Religionslehre
  • Familien- und Sexualerziehung
  • Interkulturelle Erziehung
  • Psychologie
  • Zusätzliche Fächer (Fachunterricht)

Erscheinungsjahr

2011

ISBN

9783784432700

Umfang

256 Seiten

Medien

  • Buch