Reiner Kunze: Die wunderbaren Jahre

Besprechung

Der Titel des Buches bezieht sich auf ein Zitat aus Truman Capotes Romane „Die Grasharfe“, in der die Jugendzeit zwischen elf und sechzehn Jahren als „wunderbar“ idealisiert wird. In bitterem Kontrast dazu stehen die in lakonisch verknappter Sprache präsentierten Momentaufnahmen aus dem Alltag der DDR-Jugend, wo bereits Gitarrespielen als „Störung des sozialistischen Zusammenlebens“ bestraft wird oder der Besitz einer Bibel zur diskriminierenden Einstufung führt, ein unsicheres „Element“ zu sein. Der Tochter wird das Herumzeigen einer Postkarte aus Tokio als „Propaganda für das kapitalistische System“ ausgelegt, das Tragen eines dunklen Pullovers als zu wenig optimistisch gerügt. Individuelle Äußerungen junger Leute als Ausdruck ihrer Suche nach Identität, wie z. B. das Tragen langer Haare oder westlicher T-Shirts zu Jeans, werden bürokratisch dramatisiert und als Ausdruck eines Angriffs auf eine verspießerte DDR-Wirklichkeit rigoros und mit unangebrachter Härte verfolgt. Im dritten Teil (Café Slavia) wird schließlich der Ich-Erzähler im Prager Frühling 1968 als DDR-Bürger gar nicht erst bedient; im Jahre 1975 ist die „Ordnung“ dann zwar wiederhergestellt, dafür aber darf niemand seine Meinung sagen: Kunze zitiert daher neun Gedichte totgeschwiegener tschechischer Autoren. In exemplarischen Situationen, durchzogen von teilweise dokumentarischem Material (Dialoge, offizielle Äußerungen) zeigt Kunze einen oftmals grotesk anmutenden Alltag in einem Staat, dessen freiheitlich-sozialistische Parolen sich selbst in tragikomischen Kontrast zu einer erstarrten gesellschaftlichen Wirklichkeit setzen.