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Maurizio Torchi: Das angehaltene Leben

Besprechung

Das erzählende Ich tritt erst im dritten der zahlreichen kurzen Kapitel in Erscheinung. Vorher berichtet er über Toro, einen Mithäftling, dessen Leben er sich vorstellt. Der namenlos bleibende Erzähler berichtet in knappem parataktischen Stil. Sein Leben vor dem Gefängnis, das Anfang 20 endete, besteht für ihn vor allem in der Zeit der Bewachung einer entführten Kaffee-Erbin, mit der ihn im Laufe der Monate eine Art Beziehung verband. Die Entführung misslingt, er wird verhaftet, verurteilt und auf eine Gefängnisinsel verbannt und in Isolationshaft gesteckt, weil er seine Auftraggeber, die er persönlich nicht einmal kennt, nicht verrät. Das tut er nicht aus ethischen Gründen, sondern weil ihn die ehernen Gesetze der Gefängniswelt als Verräter brandmarken würden und sein Leben wäre verwirkt. Solche und mehr Regeln und ihre Umsetzung, immer mit grober Gewalt und perfider Bedrohung verbunden, werden detailgetreu, aber mit kühler Distanz geschildert. Es gibt wenig Handlung, klar, ein lebenslänglich Gefangener erlebt wenig, lebt von Erinnerungen und den Erlebnissen anderer. So erzählt er von dem Commandante des Gefängnisses, der sich über der Zensur ihrer Briefe in die Geliebte eines Insassen verliebt habe und von den beiden benutzt worden sei, um sie zusammenzubringen. Eines Tages wird der Erzähler durch den Hof in die Richtung des Baus für „Schützlinge“, also aus Sicht der Gefangenen Verräter, gebracht. Für einen Moment ist er glücklich, da hört der Applaus der zuschauenden Mitgefangenen schlagartig auf und es wird ihm klar, dass er nicht überleben kann. Er bringt den unerfahrenen Wärter um und wird zurück gebracht in seine Zelle, die jetzt durch eine Mauer geteilt ist, so dass er keinen Lüftungsschacht und nicht einmal mehr eine Zementliege hat. Nackt sitzt er auf einem abgeschrägten kalten Boden mit einem Loch. Es folgen Schilderungen von einem Brand und einem Aufstand, die eher der Phantasie des Gefangenen entsprungen zu sein scheinen.

Der italienische Titel passt besser: Die Bösen, Cattivi. Ansonsten gibt die Übersetzung Inhalt und Stil sehr genau wieder. Harte kurze Sätze, Wiederholungen, kaum wörtliche Rede, kaum Bindewörter – die Zusammenhänge muss die/der Leser/-in selbst herstellen. Für Gefühle ist kein Platz, aber die Wahrnehmungen werden in präziser, fast schmerzender Weise genau wiedergegeben.

Didaktische Hinweise

Das Genre Gefängnisliteratur, auch Lager-Erinnerungen wie die von Primo Levi kann zum Vergleich herangezogen werden. Die Theorie des „Homo sacer“ von Agamben ist von Torchio sicher verarbeitet worden. Foucault sollte man lesen, wenn man die Beschreibung der Gefängnisarchitektur durch den Commandante verstehen will.

Gattung

  • Romane

Eignung

themenspezifisch geeignet

Altersempfehlung

Jgst. 9 bis 13

Fächer

  • Deutsch
  • Ethik/Religionslehre (Evang. Religionslehre
  • Italienisch

Erscheinungsjahr

2017

ISBN

9783552058217

Umfang

239 Seiten

Medien

  • Buch