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Daniel Kehlmann: Tyll

Besprechung

Daniel Kehlmann hat wieder einen historischen Romane geschrieben (s. auch: Die Vermessung der Welt). Die Figur des Till Eulenspiegel bekommt eine fiktive, ins 17. Jahrhundert verlegte Biografie. Es gibt keine zuverlässigen Belege, dass und wann genau dieser schalkhafte und kluge Mann wirklich gelebt hat. 1510 wurde eine niederdeutsche Sammlung von Schwänken herausgegeben, deren Protagonist ein Til Ulenspiegel ist. So kann man annehmen, dass die Menschen im 17. Jahrhundert die Geschichten von seinen Streichen, in denen er Redensarten auf scherzhafte Art wörtlich zu nehmen und den Menschen einen Spiegel vorzuhalten pflegte, kannten. Kehlmanns Tyll wird also zu Beginn des 17. Jahrhunderts geboren, als Sohn eines Müllers, der die Welt zu erklären versucht und daher von der Kirche zum Tod verurteilt wird. Da muss Tyll, der beschlossen hat, niemals zu sterben, fliehen und wird von Nele, der Tochter des Bäckers begleitet. Er hat einige Kunststücke eingeübt, so das Bauchreden und das Laufen auf einem hochgespannten Seil. Auf den Reisen durch das vom Religionskrieg verwüstete Land begegnet er vielen Menschen, darunter berühmten Gelehrten wie Athanasius Kircher oder dem König Friedrich von Böhmen und seiner englischen Frau Elisabeth, die den Dreißigjährigen Krieg ausgelöst haben. Für sie wird er eine Art Hofnarr und die letzte Szene zeigt ihn an der Seite der inzwischen verwitweten Liz. Im wunderbar erzählten Vorspann der Romanhandlung berichtet eine namenlose Person aus der Ich-Perspektive davon, wie Tyll mit einer Gruppe Gaukler und Theaterleuten in ihren Ort kam, den der Krieg verschont hatte. Das führen die Menschen darauf zurück, dass sie so viel beten. Es gab eine lange Theateraufführung, Balladen, darunter die vom dummen Winterkönig Friedrich, und eine Vorführung im Seiltanz. Eine junge Frau namens Martha interessiert sich dafür und Tyll bietet ihr an, mitzukommen. Doch sie denkt an ihre Familie, das Dorf und den guten Eintopf der Mutter und lehnt ab. Von seinem zwischen Kirchturm und Fahnenstange festgebundenem Seil aus fordert Tyll die Zuschauer auf, einen Schuh auszuziehen und auf einen Haufen zu werfen. Über den Tumult beim Suchen nach dem passenden Schuh in dem Haufen lacht er sich halbtot und läuft aus dem Dorf. „Ich hätt dich mitgenommen!“ ruft er Martha zu und lässt sie zurück, so wie die Bewohner, gezeichnet von Beulen und Wunden, die sie sich beim Suchen nach dem passenden Schuh zugezogen haben und verwirrt sind ob der Lehre, die sie erhalten haben. Der Krieg erreicht dann das Dorf doch, fast alle sterben, auch Martha und der anonyme Erzähler, deren Seelen noch in den Bäumen vor dem verlassenen Ort herumspuken.

Didaktische Hinweise

Die sorgfältige Recherche des Autors kann im Unterricht nachvollzogen werden, die Geschichte des 30jährigen Krieges, die historischen Orte und die Versuche der Welterklärung jener Zeit bieten interessanten Stoff. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, warum gerade an der Figur des Till Eulenspigel eine Zeit charakterisiert wird, in der er sehr wahrscheinlich gar nicht gelebt hat. Die Erzählstruktur, s. auch die Anfangsszene als eine Art Prolog, sollte untersucht werden. Ein Vergleich mit Döblins „Wallenstein“ wäre interessant, sofern das Buch noch greifbar ist.

Alle hier rezensierten Werke von Daniel Kehlmann

Gattung

  • Romane

Eignung

themenspezifisch geeignet

Altersempfehlung

Jgst. 10 bis 13

Fächer

  • Deutsch
  • Ethik/Religionslehre (Evang. Religionslehre
  • Geschichte

Erscheinungsjahr

2017

ISBN

9783498035679

Umfang

474 Seiten

Medien

  • Buch