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Peter Schneider: Die Lieben meiner Mutter

Besprechung

Den Rahmen einer Art dokumentarischen Erzählung bildet eine Schachtel mit Briefen der Mutter, die der Autor sein Leben lang mit sich trug, ohne die Briefe zu lesen, da sie in einer individuellen Form der Sütterlinschrift gehalten sind. An einer Wende seines Lebens nimmt er die Schachtel wieder einmal in die Hand und dieses Mal bemüht er sich, jemanden zu finden, der ihm bei der Entzifferung hilft. Diese Freundin transkribiert nicht nur, sondern diskutiert mit ihm das sich andeutende Frauenschicksal. Peter Schneider versucht nun, die Leidenschaften seiner Mutter, die sie anscheinend erstaunlich offen innerhalb ihrer Ehe lebte, zu verstehen und mit den Erinnerungen zu verbinden, die er von ihr hat. Sie starb mit 41 Jahren, als er acht Jahre alt war, daher sind es Kindheitserinnerungen. Da er unter den Einfluss eines älteren Dorfjungen geraten war, löste er sich in den letzten Monaten von der Mutter und die autobiographischen Anteile an dem Buch bilden eine unabhängige Erzählung. Die Mutter hatte einen Dirigenten geheiratet, vier Kinder bekommen und die ganze Zeit ihrer von Krieg, Flucht und Trennung gezeichneten Ehe ein Verhältnis mit dem besten Freund des Mannes, einem nach dem Krieg berühmten Opernregisseur unterhalten. Die seltenen und anfangs leidenschaftlichen Begegnungen wurden von dem seinerseits verheirateten Künstler unter Berufung auf seine sensible Konstitution und seine künstlerische Tätigkeit immer seltener und kürzer gehalten. Schließlich wurde eine gemeinsame Freundin zur Rivalin. Die Briefe der Mutter, aus denen Schneider passagenweise zitiert, wurden gleichzeitig immer leidenschaftlicher und poetischer. Auch vor dieser Beziehung und danach hatte die Mutter während ihrer Ehe Liebschaften. Nun macht sich der Sohn, dreißig Jahre älter als die Mutter bei ihrem frühen Tod, daran, dieses Leben zu schildern und, fast scheint es widerwillig, auch zu werten. Es entsteht der Eindruck einer enormen Indiskretion gegenüber der jungen Frau, die ihre Kinder allein durch Kriegswirren nach Grainau brachte, in ein Sommerhaus ihres lieblosen Vaters, der ihr Miete abverlangte. Auch wird der Leser so sehr auf die Spur der Identität von „Andreas“, dem wichtigsten Liebhaber, gesetzt, dass man kaum umhin kann herauszubekommen, um welchen nach dem Krieg so erfolgreichen Opernregisseur es sich gehandelt haben mag. Viel bedeutender ist eigentlich aber die doch geheimnisvoll bleibende Identität der Frau, die gegen jede Konvention und unter extremen Umständen an ihrer Liebe festhielt, ohne eigentlich ihre Ehe aufzugeben.

Didaktische Hinweise

Realität und Imagination als Konstituenten einer Erzählung können thematisiert werden. Die zwangsläufig moralische Wertung, die der Autor dem Leser nahelegt, sind eine Diskussion wert. Ebenso die Frage, ob so ein Unterfangen selbst ethisch zu rechtfertigen ist: Gibt es ein Recht auf Privatsphäre über den Tod hinaus?

Gattung

  • Romane

Eignung

als Klassenlektüre geeignet

Altersempfehlung

Jgst. 11 bis 13

Fächer

  • Deutsch
  • Ethik/Religionslehre (Evang. Religionslehre

Erscheinungsjahr

2013

ISBN

9783462045147

Umfang

296 Seiten

Medien

  • Buch