Ljudmila Ulitzkaja: Das grüne Zelt

Besprechung

Das Buch umspannt die Zeit von 1950 bis 1990. Es entsteht ein Epochengemälde der Sowjetunion seit dem Tod Stalins, das an Einzelschicksalen die fatalen Auswirkungen seines Regimes zeigt: Wir begegnen Ilja, einem leidenschaftlichen Fotografen, der schließlich das Land verlässt und seiner Frau Olga das Herz bricht, dem begabt-menschenfreundlichen Micha, der als Jude mannigfachen Schwierigkeiten ausgesetzt wird und am Ende Selbstmord begeht, und dem aristokratischen Sanja, sensibel und musikalisch, der sich nach Amerika retten kann. Größtenteils stehen Ulitzkajas Figuren dem System kritisch gegenüber, sie versuchen einen Rest Selbstbestimmung und Wahrheit gegen die offizielle Heuchelei und Unterdrückung zu bewahren und riskieren durch die Mitarbeit bei der Vervielfältigung verbotener Literatur (Samisdat) Unversehrtheit und Freiheit. Beschrieben werden in diesem Gesellschaftspanorama aber auch Mitläufer und Überzeugte. Der Romane ist spannend und eindrucksvoll, er enthält eine Fülle von Verweisen auf die russische Geschichte und Literatur, die Dissidentenszene wird anschaulich beschrieben. Man liest mit zunehmendem Entsetzen von den kleinlich-bornierten bis perfide-brutalen Machenschaften, die das Leben der Menschen beeinträchtigten und zerstörten. Das Buch erweckt Trauer über all den Schmerz und Bewunderung für den Mut, sich gegen die Zumutungen dieses Systems zu wehren.