T. C. Boyle: Dr. Sex

Besprechung

John Milk, ein Student der Universität Indiana besucht unberechtigterweise eine Art Ehevorbereitungskurs bei „Prok“, wie der charismatische Professor Kinsey genannt wird. Bald gerät er immer mehr in dessen Bann und wird in den Kreis der engsten Mitarbeiter aufgenommen, den er bis zum Tod des Wissenschaftlers nicht verlassen wird, obwohl die Zusammenarbeit mit dem von seiner Arbeit Besessenen Johns Leben und vor allem die Beziehung zu seiner Frau Iris extrem beeinflusst. Am Ende kann er sich zwischen seiner Ehe und der symbiotischen Zusammenarbeit mit Prok nicht entscheiden. Ihm wird bewusst, dass es neben der statistisch erforschbaren körperlichen Seite noch etwas Unerklärliches gibt, das ihn an seine Frau bindet. Das eigentliche Thema des Romanes ist die Geschichte der 40er und 50er-Jahre, die besonders in Amerika herrschende Prüderie und Heuchelei und die Revolution durch das 1948 erschienene Werk „Das sexuelle Verhalten des Mannes“. Es wird deutlich, wie stark Sexualität ein Machtinstrument sein kann. Auch das Leben und manische Arbeiten des Wissenschaftlers Kinsey, der seine Mitarbeiter zu beherrschen und zu vereinnahmen versuchte, auch sexuell, und der sich beim Kampf um seine Forschung und deren Anerkennung, besonders was den zweiten Band über die Sexualität der Frau anging, schließlich um seine Lebenskraft brachte, wird kritisch und wie man es von dem Autor nicht anders erwartet, leise ironisch betrachtet. Dass das Buch und ein Film über den Biologen auch im Amerika des 21. Jahrhunderts zum Skandal wurden, macht den Roman noch lesenswerter.