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Marcel Reich-Ranicki: Marcel Reich-Ranicki. Mein Leben

Besprechung

Der vorliegende Auswahlband umfasst die Jahre 1933 bis 1945 aus der bewegten und bewegenden Autobiografie „Mein Leben“ (1999) des bekannten Literaturkritikers Marcel Reich-Ranicki, der 1920 in Polen geboren wurde. Ab 1929 in Berlin lebend, musste Reich-Ranicki schon bald nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten die Schrecken des NS-Regimes erleben. Mannigfache Bedrückungen durch Demütigungen und Diskriminierungen, die Verweigerung der Immatrikulation, Ende Oktober 1938 Verhaftung und Deportation nach Warschau, danach andauernde Lebensgefahr während der Gefangenschaft im Ghetto und schließlich das knappe Überleben bei einem „kleinen Setzer aus Polen“ - das sind die Stationen einer Jugendzeit, die die verheerenden Folgen des Antisemitismus aus persönlicher Perspektive vor Augen führen und dabei ein aussagekräftiges Zeitpanorama entwerfen.

Das Buch ist ungeheuer eindrucksvoll „erzählte Geschichte“, die Begrenzung auf die Jahre des nationalsozialistischen Terrors gibt ihm einen besonderen Wert für die Schule. Der Leser begegnet einem intelligenten und wachen Gymnasiasten und verhinderten Studenten, dessen Leben allein dadurch bedroht wird, weil er ein Jude ist. Mit seinen Augen sieht er die Auswirkungen des nationalsozialistischen Rassenwahns. Die Einzelheiten der Autobiographie machen oft fassungslos und verleihen der Darstellung eine hohe Plastizität: Reich-Ranicki erzählt z. B. von einem Klassentreffen nach dem Krieg, bei dem ihm ein Mitschüler berichtet hat, dass er beim Anblick eines gequälten jüdischen Mitschülers lieber weggeschaut habe, weil diese Situation ja dem Mitschüler habe peinlich sein müssen! Solche Details fordern zur Stellungnahme und Selbstbefragung heraus ähnlich wie eine Szene aus dem von Deutschen besetzten Warschau, in dem die Juden Freiwild und rechtlose Objekte der deutschen Besatzer waren. Hier retteten vielleicht Reich-Ranickis Kenntnisse über den Fußballclub Hertha BSC ihm und dem Bruder das Leben, da sie einen Soldaten milde stimmten - „derselbe junge Mann, der uns vor kaum einer halben Stunde sadistisch geschunden hatte (...) benahm sich jetzt ganz normal, ja nahezu freundlich“. Natürlich sind die Zeitzeugen-Passagen des Buches von besonderem Wert für die Lektüre. Der nachmalige Großkritiker berichtet aber auch von ganz anderen Dingen, die zu seiner Jugendzeit gehörten: das erwachende Interesse an den Frauen, seine frühe Liebe zur Literatur und das generelle Gefühl der Einsamkeit, des Ausgeschlossenseins, das durch die politisch bedingte Außenseitersituation noch verstärkt wurde. Das Buch kann in vielfacher Weise im Unterricht genutzt werden: In erster Linie als erzählte Geschichte aus der Zeit des NS-Regimes und als erschütterndes autobiographisches Zeugnis, das einen persönlichen Zugang zum fraglos dunkelsten Kapitel der deutschen Vergangenheit ermöglicht (Vorlesen geeigneter Stellen, Referate). Weiterhin wäre es möglich, die Erlebnisse des Autors mit den Lebensläufen von Tätern zu kontrastieren. Man könnte über die entsprechenden Jahre - sofern noch möglich - Zeitzeugen vor Ort (evtl. in den Familien der Schüler) befragen. All jene Stellen, an denen das Erleiden oder Zufügen von Leid zur Sprache kommt, eignen sich natürlich für Fragen des Religions- und Ethikunterrichts, möglichst verbunden mit anderer, z. B. wissenschaftlicher Literatur zum Thema. Von besonderem Interesse für den Deutschunterricht sind die das Buch durchziehenden literarischen Anmerkungen, Berichte und Urteile, die wertvolles Informations- und Anschauungsmaterial bereitstellen und die Frage nach der existentiellen Bedeutung von Literatur für den Menschen diskutieren lassen. Fächerübergreifende Ziele: Politische Bildung, Werteerziehung

Didaktische Hinweise

Der Kommentar von Volker Hage ist ausgesprochen umfangreich und hilfreich, trotzdem ist das Buch wegen seiner Informationsdichte und -vielfalt wohl eher für die Oberstufe geeignet.

Gattung

  • Sachbücher

Sachbuchkategorie

  • Biografien, Autobiografien, Porträts

Eignung

für die Schulbibliothek empfohlen

Altersempfehlung

Jgst. 11 bis 13

Fächer

  • Deutsch
  • Ethik/Religionslehre (Evang. Religionslehre
  • Geschichte

Erscheinungsjahr

2005

ISBN

9783423133279

Umfang

326 Seiten

Medien

  • Buch