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Christian Kracht: Eurotrash

Besprechung

Ein Sohn reist mit seiner betagten Mutter zu gemeinsamen Erinnerungsorten. „Also“ – so begann „Faserland“, der erste Roman des Autors aus dem Jahr 1995, und so beginnt „Eurotrash“, dessen Protagonist Christian Kracht heißt und einen Roman mit dem Titel „Faserland“ geschrieben hat. Schon befindet sich der Lesende auf der Fährte eines autobiografischen Textes und beginnt das, was er liest, für Realität zu nehmen. Vieles ist auch real, das lässt sich anhand von Google nachprüfen. Und doch ist es eine falsche Spur. Mit jedem Wort, mit jeder „Geschichte“, jeder Station der Reise entfernt sich der Erzähler vom Autor und der Lesende von der Realität. Christian Kracht wird von seiner über 80-jährigen Mutter nach Zürich gerufen, zu der er ein sehr angespanntes Verhältnis hat. Die nach ihrer Scheidung von Krachts Vater vereinsamte und von Alkohol und Tabletten abhängige Frau versucht trotz des Verfalls ihren alten Lebensstil aufrechtzuerhalten. Sie war immer schon manipulativ, ihren kleinen Sohn erschreckte sie, indem sie sich tot stellte. Nach mehreren Aufenthalten in der Psychiatrie ist sie hinfällig, Stomaträgerin und auf einen Rollator angewiesen. Dafür besitzt sie im Überfluss Geld und Ferragamo-Pullover. Da mit ihr nicht zu reden ist, beschließt Christian spontan, sie auf eine Reise zu entführen. Sie willigt ein, als er ihr verspricht, nach Afrika zu fahren und Zebras anzuschauen. Es beginnt eine groteske Roadnovel mit dem Taxi durch die Schweiz von Zürich nach Saanen bei Gstaad, Krachts Geburtsort im Berner Oberland, nach Montreux und Genf, wo sie das Grab von Borges besuchen. Es sind Erinnerungsorte für den Sohn, zum Teil auch für die Mutter und er hält sie mit seinen Geschichten bei der Stange – das einzige, was sie von ihm hören mag. Sie können sich nicht einigen, was wahr und was fiktiv ist, so wenig wie es der Lesende weiß, der entscheiden muss, ob der Fuchs, der über den Gletscher läuft, wirklich ist oder der Vater, der, als er starb, Sadomasozubehör in seinem Haus auf Sylt zurückließ. Es fallen die Namen von Celebritäten der 80ger und 90ger Jahre und ihrer beliebten Wohn- und Urlaubsorte, wo die Krachts jeweils Villen besaßen. Krachts Vater, auch er hieß Christian, stammte aus kleinen Verhältnissen und war zum Aufsichtsratsvorsitzenden des Springer-Konzerns aufgestiegen und schwerreich geworden. Ob er tatsächlich seine Frau mit schlechten Expressionisten abgefunden hat, während er Munch, Nolde und Kirchner- Gemälde aufgerollt unter dem Bett bewahrte? Der Großvater des Erzählers, Vater seiner Mutter, war ein unverbesserlicher Nazi, dessen Gesinnung sogar den Entnazifizierungsverfahren der Alliierten widerstand. Auch das beruht auf Tatsachen, zumindest in etwa. Solche Geschichten folgen einander wie Szenen einer Farce. Am Schluss liefert der Sohn seine Mutter, die sich den Zebras nahe glaubt, in der psychiatrischen Klinik ab, es kommt zu einem, nach all dem Hass und den Missverständnissen unverhofft rührenden Abschied.

Didaktische Hinweise

Das Buch liest sich leicht, es steckt voller Anspielungen und es bietet sich, auch was den Stil betrifft, ein Vergleich mit „Faserland“ an, zu dem inzwischen zahllose Unterrichtsmaterialien erschienen sind. Die Zeiten des Pop-Romans sind vorbei, aber was hat es mit „Eurotrash“ auf sich? Die Rezensionen in den Medien kann man mit den ähnlich kontroversen Reaktionen auf den Vorgänger Ende der 90ger Jahre vergleichen.

Alle hier rezensierten Werke von Christian Kracht

Gattung

  • Romane

Eignung

als Klassenlektüre geeignet

Altersempfehlung

Jgst. 9 bis 13

Fächer

  • Deutsch

FÜZ

  • Werteerziehung

Erscheinungsjahr

2021

ISBN

9783462050837

Umfang

224 Seiten

Medien

  • Buch
  • E-Book